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Iliescu mobilisiert Anhänger der Front

■ Fernsehübertragung von der Massenkundgebung am Sonntag manipuliert / Opposition behindert / In Temeswar weigert sich alte Führung der Front abzutreten / Tökes unterstützt weiterhin die neue Führung

Bukarest (afp) - Kaum fünf Wochen nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes steht Rumänien mitten in einer neuen latenten Machtprobe. Nachdem am Sonntag zehntausende Demonstranten in Bukarest den Rücktritt des Rates der Front zur nationalen Rettung und die Bildung einer Koalitionsregierung verlangt hatten, zogen am Montag Korrespondentenberichten zufolge Tausende auf den Siegesplatz, um ihre Unterstützung der Staatsführung kundzutun.

Die Demonstranten blockierten den Führern der oppositionellen Bauernpartei und der liberalen Partei zunächst den Zugang zum Gebäude, in dem am Montag der Prozeß gegen vier ehemalige Ceausescu-Vertraute, die der Beteiligung am Völkermord beschuldigt sind, fortgesetzt wurde. Appelle zur Unterstützung des Rates hatte am Sonntag abend das rumänische Fernsehen gesendet.

Die Art der Berichterstattung im staatlichen Rundfunk und Fernsehen untermauert nach Meinung vieler Oppositioneller ihren Vorwurf, der Rat kontrolliere die Medien. Die Ansprache des Ratspräsidenten Ion Iliescu wurde, obschon als „Direktübertragung“ deklariert, in den Medien stark zusammengeschnitten. Herausgefallen waren bei der Montage die Passagen, in denen Iliescu durch Rufe nach seinem Rücktritt niedergebrüllt und ausgepfiffen wurde.

Auch in Temeswar, wo im Dezember die Aufstände gegen Ex -Diktator Nicolae Ceausescu begonnen hatten, demonstrierten rund 3.000 Anhänger der Opposition am Sonntag gegen die neue rumänische Führung. Sie forderten unter anderem, daß die Bauern mindestens fünf Hektar Land erhalten sollen. Ferner verlangten sie eine Umwandlung der Staatsbetriebe in Aktiengesellschaften.

Wie unterdessen in Temeswar bekannt wurde, konnte der am Wochenende erstmals demokratisch von der Basis neugewählte lokale Rat der Front zur nationalen Rettung nicht wie geplant sein neues Amt übernehmen, da sich die Mitglieder der alten Lokalführung weigerten, ihre Plätze zu räumen. Als Vorwand gaben sie an, sie müßten erst die Zustimmung aus Bukarest abwarten. Iliescu hatte jedoch am Freitag versichert, Städte und Regionen des Landes sollten nur von mehrheitlich gewählten Räten geführt werden.

Der prominente frühere Dissident Laszlo Tökes, dessen drohende Verhaftung zum Volksaufstand in Temeswar geführt hatte, hat sich unterdessen mit einer Solidaritätserklärung hinter die umstrittene Übergangsregierung gestellt. Der Rat der Front zur nationalen Rettung sei die einzige Kraft, die das Land führen könne. Zugleich gab er seine Kandidatur zur Wahl eines regionalen Führungsgremiums der Provinz Timis bekannt.

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