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„Ich zeige dir ein Gefühl“

■ Der kurdische Regisseur Nizamettin Aric über seinen Film „ein Lied für Beko“, sein Volk und sich selbst

„Ein altes kurdisches Gebet sagt: Hilf den 72 Völkern dieser Erde — und hilf dann unserem. Wir, die Kurden, stellen uns hintenan, und ich fände es schön, wenn alle Kurden das weiter so praktizieren würden.“ Nizamettin Aric hat aus diesem Gefühl seinen Film gemacht: „Ein Lied für Beko“ ist der erste kurdische Spielfilm in kurdischer Sprache, über die Vertreibung und unfreiwillige Flucht eines ganz unpolitischen Mannes nach Deutschland (vergl. taz vom 23.4.).

„Beko, das könnte vielleicht auch ich sein“, sagt Regisseur und Musiker Aric. Ein kurdisches Liebeslied war der Grund für Arics Flucht nach Deutschland. Bei einem Konzert in seiner Heimatstadt Agri in türkisch Kurdistan wünschte sich das Publikum ein Lied in 'seiner' Sprache. Nizamettin Aric erfüllte diesen Wunsch, sang gerade mal die Hälfte des Liedes und wurde verhaftet: 1978 war Kurdisch noch eine öffentlich verbotene Sprache, Aric drohten 15 Jahre Gefängnis, zwei Jahre später ist er über Syrien nach Deutschland geflohen.

Wie seine Filmfigur Beko hatte er nie zuvor daran gedacht, die Türkei zu verlassen. „Das ist ja gerade das Absurde: Es kann alle treffen, auch Menschen, denen Politik fremd ist.“ Umso stärker leiden sie darunter, umso eher verstummen sie und tragen dieses sinn- und endlose Leid. Das sind die Menschen, die Nizamettin Aric zeigen will.

Trotzdem ist aber sein Protagonist Beko kein Held. „Helden sind für mich uninteressant“, sagt der Regisseur. Die Menschen für seinen Film hat er sich am Drehort selbst gesucht; in Kindergärten, Schulen und auf der Straße. Erst hatte Nizamettin Aric zusammen mit den Kindern gelacht und gespielt, um ihnen die Scheu zu nehmen, und plötzlich ging es nicht mehr ohne ihn — er mußte auch die Hauptrolle übernehmen.

Das Film-Team drehte in Armenien, dem einzigen Land, wo Kurdisch gesprochen werden darf, wo es sogar eine kurdische Zeitung gibt. Zweieinhalb Monate haben sie in Zelten gelebt, oft ohne Benzin, ohne Telefon, manchmal auch tagelang ohne Brot. „Wir hatten teilweise gar kein Drehkonzept mehr — und phantastische Aufnahmen. Thomas Mauch, mein Kameramann, hat ohne viel Worte verstanden, worum es mir ging.“

Es geht Aric um das Sichtbarmachen der Gefühle eines unterdrückten Volkes und seiner Tradition. Still. Bescheiden. Hart. „Viele meiner kurdischen Landsleute haben mehr Action erwartet, wollten MP's und Folter sehen. Genau diese Realität wollte ich aber nicht darstellen, das wäre mir zu lächerlich, dazu gibt es Dokumentarfilme.“

Wovon noch viel zu wenige gemacht würden. Aric kann es nur permanent wiederholen: Öffentlichkeit tut not. Als er vor zehn Jahren Mittel für sein Projekt beantragt hat, stieß er überall auf Desinteresse. Das ist zwar nach Saddam Husseins Giftgasaktionen etwas aufgebrochen, die deutsche Presse jedoch ist nach dem großen Erfolg von „Beko“ bei den Filmfestspielen in Venedig erschreckend leise geblieben. „Mit dem Argument, das sei kein deutscher Film.“ Nizamettin Aric ist seit 1984 anerkannter Asylant, mit einer Deutschen verheiratet, hat zwei kleine Töchter und lebt in Berlin. „Ein Lied für Beko“ wird jetzt im Selbstverleih vertrieben, Aric begleitet seinen Film . Er will auch seine hier lebenden Landsleute ins Kino bringen, will, daß sie sich mit den eigenen Traditionen auseinandersetzen. „Durch dieses Aufstülpen von türkischer Kultur ist vieles einfach so verlorengegangen, wie sollen denn zum Beispiel die Kinder das kennenlernen? Und die türkischen Intellektuellen schweigen dazu! „

Nizamettin Aric wird natürlich wieder einen Film machen, wieder über Kurden, ja. „Die Geschichte dazu kann ich aber nicht erzählen; ich kann das nicht in Worte fassen. Sonst würde ich Bücher schreiben.“ Silvia Plahl

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