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Ich verurteile Fleischesser nicht, aber es bringt auch nichts, mit ihnen zu diskutierenMarkenfleisch aus dem Schweinestall

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Ich verurteile niemanden, der Fleisch isst. Auch wenn Menschen, die Fleisch essen, anderen Menschen, die kein Fleisch essen, das immer unterstellen. Im Frühjahr war ich auf einer Party auf dem Land und da wurde mir Gulasch angeboten. Ich lehnte ab und erklärte auf Nachfrage, dass ich kein Fleisch essen würde. „Warum denn das nicht?“, hieß das dann und ich sagte: „Ich habe keine Lust, darüber zu diskutieren.“

Ich weiß genau, warum ich keine Lust habe, darüber zu diskutieren, weil es nämlich keinen Sinn hat. Wenn man sagt, man möchte nicht, dass Tiere getötet werden, dann wird man als erstes Argument hören, dass dem Menschen, der mit dir redet, Fleisch aber schmeckt, und gleich anschließend wird einem mitgeteilt, dass man als Vegetarier an der Zerstörung der Umwelt schuld sei, weil man Sojamilch tränke. Ich trinke zwar keine Sojamilch, aber ich sage nichts dazu. Ich schweige nur, kippe mir Schnaps ein, lächele.

Auch das kann schlecht ankommen, sehr schlecht. Denn das kann so rüberkommen, als fühlte man sich moralisch überlegen, und das treibt den Fleischesser in die Wut. Es kommt eigentlich nur eines gut an, wenn man dem anderen, also dem Fleischesser, sagt: „Ja, du hast recht. Ich nehm’mir jetzt sofort eine große Portion von deinem Gulasch.“

Aber ich verurteile dennoch keinen Fleischesser. Ich verurteile weniger an Menschen, als die Menschen manchmal selbst glauben. Ich habe selbst sehr lange Fleisch gegessen und mich dann aus moralischen, nicht aus kulinarischen oder Gesundheitsgründen dagegen entschieden. Das macht mich noch nicht zu einem grundsätzlich besseren Menschen.

Möglicherweise gibt es Fleischesser, die sich in anderen Teilen für die Welt einsetzen, jeder wie er kann. Es ist allerdings jetzt eine etwas einfachere Sache, Zustände anzuprangern, die man tatsächlich nicht mehr mit zu verantworten hat. Die Zustände in Schweinemastbetrieben zum Beispiel.

Im Landkreis Rotenburg musste ein Schweinemäster vor Gericht, weil er seine Schweine nicht gut gehalten hat. Der Veterinär hat bei einer Inspektion gleich elf Schweinen die Gnade des Todes gewähren müssen. Man stelle sich also vor, ein Stall voller kranker Tiere, von verstümmelten ist die Rede, und obwohl der Schweinemäster deshalb jetzt ein Strafverfahren am Hals hat, liefert er munter weiter Schweine an eine Firma, die „Markenfleisch“ verkauft.

Ein ganzes Jahr lang. Das ist nicht nur ein Vorfall, der irgendwie absurd ist und deshalb in die Presse kommt. Das ist einer von vielen Vorfällen, die andauernd in der Presse sind. Das ist System. Es gibt Schweinemäster, die achten auf die Gesundheit ihrer Schweine, die halten die Vorschriften ein.

Und dennoch. Auch ein vorschriftsmäßig gehaltenes Schwein hat kein gutes Leben. Es hat ein erbärmliches, sehr kurzes Leben. Einem Schwein ginge es gut, wenn es draußen herumlaufen könnte. Wenn es die Sonne sehen, in der Erde wühlen und länger als ein halbes Jahr leben könnte.

Ein Schwein ist intelligent und dem Menschen physiologisch sehr ähnlich. Aber ein Schwein hat halt leider das Pech, kein Hund zu sein. Über Hundequälerei wird sich sehr viel mehr aufgeregt als über Schweinequälerei. Aber ein Schwein ist vor allem sowas: Markenfleisch. Was soll das sein? Was soll das bedeuten?

Glaubt wirklich irgendwer, dass es sowas wie Markenfleisch gibt und dass er damit was Gutes erwirbt? Für wen was Gutes, für sich? Ein Markenfleischproduzent weiß noch nicht mal, dass ein Schweinemäster, von dem er sein Markenfleisch bezieht, den Stall voller kranker Tiere hat. Könnte er das wissen? Will er das wissen? Das sind mal so Fragen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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