: „Ich habe für Athen gestimmt“
■ Atlantas Olympiamuffel proben den Hemdenaufstand gegen die Spiele
Atlanta (dpa) – Das hat Präsident Bill Payne und seinen Mitstreitern beim Organisationskomitee der Olympischen Spiele von Atlanta (ACOG) gerade noch gefehlt: Olympiagegner und frustrierte Bürger machen ihrem Ärger über die Spiele in der Hauptstadt Georgias auf T-Shirts Luft.
„Wir sitzen mit Freunden zusammen, reden über die Spiele, ärgern uns über den Verkehr, beklagen uns darüber, daß wir keine Eintrittskarten bekommen und auch nicht genug Geld haben, um die Stadt während der Olympiade verlassen zu können“, schildert Deanie Preston die Befindlichkeit zahlreicher Bewohnerinnen und Bewohner der Olympiastadt 1996.
Die 27jährige Studentin aus dem Städtchen Lawrenceville zehn Kilometer von Atlanta entfernt hat es nicht beim Jammern belassen, sondern sich mit ihrer Schwester Debi zusammengetan und die „Bad Attitudes Inc.“ gegründet. Das ist eine von mehreren „Gesellschaften“, die in jüngster Zeit entstanden sind, um verärgerten Atlantianern ein Forum zu geben, auf gesellschaftlich akzeptable Weise ihre Frustration über die Sommerspiele abzureagieren. „Gebt mir nicht die Schuld, ich habe für Athen gestimmt!“ steht auf einem der T-Shirts, das die beiden auf den Markt gebracht haben. Natürlich nicht ganz uneigennützig. „Wir haben uns gedacht, wenn andere Leute genauso wie wir denken, könnte dieses Geschäft ganz gut laufen.“
Mittlerweile sind die Schwestern dabei, neue Designs zu kreieren und mehr Abnehmer unter den Einzelhandelsgeschäften zu finden – in der Hoffnung, daß der große Wurf gelingt, je näher der Beginn der Spiele rückt.
Derzeit haben sie T-Shirts wie „Sommer-Checkliste – vermiete dein Haus, zerreiß dein Ticket, scher dich zum Teufel!“ oder „Juli 96 – wenn die Welt in Atlanta zusammenkommt, flüchten wir auf den Autobahnen 75, 85, 285 und 400“ im Angebot.
Ein anderer Bürger Atlantas, der engagiert im T-Shirt-Geschäft arbeitet, ist Dr. James Smith. Der Mediziner überreicht seinen Patienten kostenlos ein T-Shirt mit einem übergewichtigen, zahnlosen Stiernacken, der sagt: „Was hältst du davon, daß es bei den Spielen kein Football gibt?“ Smith wollte sein T-Shirt sogar dem ACOG anbieten. Doch das lehnte ab. Kein Wunder, sein Held auf dem T-Shirt verkörpert den „Bubba“. Dies ist im Süden der USA der Spitzname für einen grobschlächtigen, ungebildeten Kerl. Dem ACOG ist es offensichtlich genug, daß auch Einheimische, die Atlanta für zu unkultiviert für eine Großveranstaltung wie die Olympischen Spiele halten, schon von den „Bubba- Spielen“ sprechen.
In einem Land, wo jeder kleine Imbiß seine eigenen Hemdchen vertreibt, hat natürlich auch das „offizielle“ Olympia-Atlanta seine T-Shirts. Auf dem Lenox Square wird jeden Mittag um 13 Uhr das T-Shirt „Countdown to the dream“ versteigert. Wie vor den Winterspielen 1994 in Lillehammer ist auch in Atlanta das Interesse gewaltig. Die Hemden zeigen an, wie viele Tage es noch bis zur Eröffnung der Sommerspiele am 19. Juli sind. Heute kommt das T-Shirt mit der Nummer 184 unter den Hammer.
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