„Ich habe den Krieg überlebt“

■ Entschärfte Bomben-Stimmung : Oslebshausen nahm's gelassen

Ein Mann lehnt am Gartenzaun. „Hundertfuffzig Meter bis zur Bombe“, erklärt der einsilbige Hüttenstraßen-Anwohner, „ hab' deshalb die Fenster auf Kipp' gestellt.“ Zwar ist der Unbelehrbare – ein Dorn im Auge der Polizei – tatsächlich gute 500 Meter vom Ort der Bombenentschärfung am Dienstag abend entfernt, dennoch: „Es wird immer schwieriger, die Menschen auf die Gefahren eines solchen Einsatzes hinzuweisen“, so Polizei-Einsatzleiter Rainer Zottmann. „Im Bremer Westen, wo im Schnitt ein Blindgänger pro Monat entschärft wird, geht das Gefahrenbewußtsein rapide zurück.“

Doch der lebensmüde Anwohner ist die Ausnahme. Nebenan steigt Familie Hoffmann in die Familienkutsche. „Angst haben wir natürlich nicht“, beteuert Mutter Gitta, während Großmutter und Töchterchen Ina auf den Abtransport warten. „Derjenige, der das Ding auseinandernimmt, wird schon wissen, was er tut. Wir fahren trotzdem bei den Entschärfungen immer zu den Schwiegereltern nach Burgdamm. Sogar dort konnte man die Sprengung der letzten Bombe noch hören.“

In der Polizeiwache Oslebshausen, die mit 1.200 Metern nicht mehr im unmittelbaren Gefahrenbereich liegt, ist mittlerweile der Teufel los. 110 PolizistInnen aus allen Revieren sind im Einsatz. Sie evakuieren die Menschen aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich von 1.000 Metern Radius, legen den Verkehr im Durchmesser von fünf Kilometern lahm. Ob Autobahn, Schiene oder Luftverkehr: Um 20 Uhr sind sämtliche Verkehrsverbindungen zwischen Bremen und Bremen-Nord gekappt.

Die Diakonissenanstalt läßt für eineinhalb Stunden keine Krankentransporte zum Krankenhaus anfahren. PatientInnen und Personal aus dem Teil des Gebäudes, der der Bombe zugewandt ist, werden in Räume auf der anderen Seite verfrachtet. Das gleiche Spiel in der Justizvollzugsanstalt, wo sich, wie auch im „Diako“, niemand im Freien aufhalten darf.

Vor der Wache Oslebshausen stehen bis kurz vor 20.30 Uhr noch zwei Einsatzwagen des Arbeiter-Samariter-Bundes, der mit 25 HelferInnen im Einsatz ist, um hilfsbedürftige Menschen aus ihren Häusern zu holen. „Es gibt schon einige Leute, die zuhause bleiben“, erklärt der Einsatzleiter der Katastrophenschutzeinheit, Holger Recknagel. „Das sind vor allem Ältere. Die denken: Ich habe den Krieg überlebt, also überlebe ich auch das.“ Natürlich könne man sie zwingen, doch „man tut es nicht“.

Die Leute bedenken eben nicht, daß so ein großes Ding hier noch nie hochgegangen sei, erinnert der ASB-Mann an die 2 Tonnen schwere englische Luftmine: „Selbst für uns hier kann wegen der Druckwelle ein geplatztes Trommelfell noch das kleinere Übel sein.“ Wenn, – ja wenn es dann doch passieren sollte.

Drei Minuten vor Entschärfungsbeginn verschwinden dann auch die SanitäterInnen Richtung Alwin-Lonke-Straße. Im dortigen Schulzentrum, dem Evakuierungsort, sitzen fünfzehn Rentnerinnen gemütlich beim Plausch. Die können nicht mehr zählen, wie oft sie sich schon auf diese Weise trafen. „Wir werden hier hervorragend mit Tee versorgt, der ist gut, und die Polizei hat alles voll im Griff.“

So groß wie eine Litfass-Säule seien diese „Wohnblock-Knacker“. Eine ältere Dame, in der Hüttenstraße aufgewachsen, erinnert sich noch genau, wo im Krieg die Flak-Stellungen waren. „Da liegen noch mehrere solche Dinger“, erzählt sie, „wo sie auch buddeln, sie finden eine Bombe.“ Ein Herr weiß es noch genauer: „Die gehen meterweise mit ihren Metallsonden weiter, bis sie einen neuen Knallfrosch gefunden haben.“ Zwei Minuten nach Neun kommt die Entwarnung über Funk. „Das hat aber lange gedauert. Bomben-Harry wär' schneller gewesen.“

Einen 30-Meter Krater hätte der „Wohnblock-Knacker“ reißen können: im Umkreis von 100 Metern nur noch Atome. „Da fliegen Ihnen die Türen durch die Wohnung“, wird der Vater zweier Kinder anschaulich, „aber ich habe ja vorher schon gesagt: Zu 99,9 Prozent klappt es.“ André Hesel