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„Ich dachte, wir hätten Krieg“

Südafrika fällt der Abschied vom Terror gegen Regimegegner nicht leicht / Nur zögernd kommt die Wahrheit über die Geheimorganisationen ans Licht, die den schmutzigen Krieg führten / Vielfältige Verbindungen zu Regierung, Militär und Polizei / 18 Millionen Mark für verdeckte Aktivitäten  ■  Aus Pretoria Tim Murphy

Der Herr Direktor ist getarnt. Er trägt zum dunkelgrauen Anzug eine dunkle Brille, eine dichte Perücke und einen falschen, grauen, brustlangen Bart, durch den er seine Aussage nuschelt. „Ich weiß nicht, ob das Teil der Tarnung ist“, ruft einer der professionellen Zuhörer dazwischen, „aber wir können den Zeugen nicht hören.“

Der Zeuge ist Pieter Johan Verster, geschäftsführender Direktor des „Büros für Bürgerzusammenarbeit“ (englisch: CCB), und er hat allen Grund, undeutlich zu sprechen. Nicht nur, daß seinem Büro mit dem harmlos klingenden Namen vorgeworfen wird, eine stattliche Anzahl von Regimegegnern umgelegt zu haben, jetzt muß er dem Herrn Vorsitzenden auch noch eine ganz und gar abenteuerliche Geschichte auftischen, wie und auf wessen Weisung die entscheidenden Akten verschwunden sind.

Politkrimi oder Schmierenkomödie?

Im ersten Stock des Hauptquartiers der Niederländisch Reformierten Kirche Südafrikas, die erst kürzlich zaghaft Abbitte dafür leistete, jahrhundertelang die Rassentrennung verfochten zu haben, wird seit zwei Monaten auf krude Weise Vergangenheit bewältigt. Eine einköpfige Untersuchungskommission, bestehend aus dem Richter Louis Harms, versucht auf Weisung von Staatspräsident Frederik Willem de Klerk sich in einem Politkrimi zurechtzufinden, den auch der hartgesottenste Spionageautor so irrwitzig kaum hätte ausdenken können. Nach den Anhörungen dieser Woche ist der einsame Richter auf seinem erhöhten Platz weniger zu beneiden denn je. Der Auftritt von verkleideten Herren, wie in einer Schmierenkomödie, ist fast schon Routine. Und das Dickicht wird immer undurchdringlicher: Eine Unzahl von Kreuz- und Querverbindungen zu den „normalen“ Bespitzelungsapparaten von Militär und Polizei, Konten im In - und Ausland, Waffen aus den verschiedensten Quellen und eine nicht abreißende Parade zwielichtiger Figuren. Auch die Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten des Richters werden sichtbar. Immer häufiger ist von den Auslandsaktivitäten des CCB die Rede, doch der Untersuchungsauftrag ist strikt auf das mörderische Treiben im eigenen Land beschränkt.

Geheimdienste, die keiner kennt?

Zu ergründen sind die Aktivitäten einer Geheimabteilung der Streitkräfte mit 139 „bewußten“ und einer noch größeren Zahl „unbewußter“ Agenten. So geheim, daß nicht einmal Verteidigungsminister Magnus Malan von ihrer Existenz und ihren etwa 200 „Projekten“ gewußt haben will, geschweige denn von den 28 Millionen Rand (circa 18 Millionen D-Mark), die das blutige Treiben pro Jahr gekostet hat. In der Regierung will überhaupt niemand je von dem Spezialbüro gehört haben.

Doch auch die verbissensten Regierungsfreunde mögen nicht glauben, daß der alte Haudegen Malan und die Regierungselite der „Nationalen Partei“ erst von den staatlichen Todesschwadronen, den „Hit Squads“, erfahren haben, als die Sache zu stinken begann. Selbst die kreuzbrave Tageszeitung 'Citizen‘ hat schon vor Monaten lautstark die Entlassung Malans gefordert. Aber de Klerk ist offenbar der Meinung, daß der Kriegsminister im Amt derzeit am wenigsten Schaden anrichten kann. Es gilt zu vermeiden, daß nach „Piedabbeljuh“ - Ex-Premier Pieter W. Botha - eine weitere Law-and-order-Größe unter dem Jubel der Rechtsradikalen die Nationale Partei verläßt.

Mit Bomben- und Mordanschlägen gegen die „Feinde Südafrikas“ - das war das Programm des CCB. Je perfider, desto besser: Einschüchterung durch das Zusenden eines toten Affenfötus; Mord durch giftbestrichene Klobrillen oder das Austauschen von Herzpillen. „Das Abenteuer zog mich an“, sagt Carl „Calla“ Botha, ein massiger Ex-Rugbyspieler und -Polizist aus Pretoria. Man habe ihm gesagt, er würde für keine Gewalttat bestraft, eine höhere Autorität würde ihn schützen. „Ich glaubte, es sei ein Krieg.“

Das glaubten auch die Spione, die im benachbarten Johannesburg seit letztem Monat vor einer ganz ähnlichen Kommission aussagen. Zu erhellen sind hier Aktivitäten der aufgeblähten Sicherheitsabteilung des Johannesburger Stadtrates, die, eng verknüpft mit dem militärischen Geheimdienst, alle bespitzelt hat: Linke, Liberale, angeblich sogar Kandidaten der im Rat bislang regierenden Nationalen Partei, die über den Skandal bereits die Macht verloren hat. Alle größeren Städte Südafrikas, sagt der gebeutelte Sicherheitschef vor dem Leiter der Untersuchungskommission, Richter Hiemstra, aus, hätten ein solches Spionagenetzwerk.

Kranke Apartheidgesellschaft

„Wie in einer anderen Welt“ fühlt sich da ein Zuschauer vom Five Freedoms Forum, einer liberalen Gruppierung, auf die gleich zwei Spione angesetzt waren: „Es ist die Paranoia von P.W. Bothas Staatssicherheitssystem.“ Hier wie dort interessierte man sich für die gleiche Klientel: Wehrdienstverweigerer, Journalisten, unbequeme Priester und politische Aktivisten.

Allmählich verstummen selbst die wackeren Burenkrieger, die in den Leserbriefspalten lange um Verständnis für „unsere Jungs“ an der Front des schmutzigen Krieges warben. Die Waffe im Schrank ist noch immer selbstverständlich, doch die hochgezogenen Brauen der Richter signalisieren: Auch in Südafrika ist nicht mehr alles erlaubt.

Und immer klarer wird, daß die Richter Harms und Hiemstra im selben Sumpf umherirren. Der Name des Akademikers David Webster, der am 1. Mai letzten Jahres vor seinem Haus erschossen wurde, taucht plötzlich in beiden Kommissionen auf. Gerade dieser Mord, sagt der Kapstädter Politphilosoph Andre Du Toit, „hat viel mit dem zu tun, was so schrecklich falsch gelaufen ist in unserer kranken Apartheidgesellschaft“.

Man habe sich gekannt, erzählt leutselig der Regionalchef des CCB in Johannesburg, wie die meisten seiner Leute ein Ex -Polizist, dem Richter Harms. Mit dem Oberspion vom Stadtrat und seinen Mannen habe man „sogar gemeinsam Schießübungen veranstaltet“. Und niemand wäre überrascht, wenn dabei lebende Ziele verwendet worden wären.

Der schmutzige Krieg ist noch nicht zu Ende

Geeint waren sie in dem festen Glauben, daß der Kampf gegen den Feind alles rechtfertigt. Der Harms-Kommission liegt eine Liste von 71 unaufgeklärten Politmorden vor. Allein seit 1984, sagt die südafrikanische Menschenrechtskommission, seien 45 Morde an Anti -Apartheidaktivisten ausgeführt und 160 versucht worden.

Eine Zeit lang schien es fast so, als wolle de Klerk, der mit seiner Reformpolitik eine Art kontrollierten Machtverlust betreibt, ein zumindest oberflächlich geputztes Haus übergeben. Doch die Dunkelmänner wollen nun leider nicht alleine schuld sein. Joe Verster, der Direktor mit dem falschen Bart, erfand diese Woche die tolle Legende vom „Notstandsplan“, vor fünf Jahren aufgestellt: Bei einem Regierungswechsel oder politklimatischen Störungen genügte ein Anruf, um alle wichtigen Akten verschwinden zu lassen durch einen Unbekannten, damit kein CCB-Mann „kontaminiert“ werde. Er habe im Januar angerufen, erklärte Verster dem staunenden Richter, die Akten seien futsch.

Alles Vergangenheit? Letzten Monat wurde bei einem geheimnisvollen Anschlag in Botswana ein Mitglied des „Pan Africanist Congress“ (PAC) mitsamt seiner ganzen Familie ermordet. Kurz darauf verlor in Simbabwe ein ANC-Priester beide Hände und ein Auge, als er eine Paketbombe aus Südafrika öffnete. „Der schmutzige Krieg“, schreibt die linke Wochenzeitung 'Weekly Mail‘, „fängt wieder an.“ Offiziell aber hat der Verteidigungsminister die „Arbeit“ des Büros für Bürgerzusammenarbeit bereits im Februar „supendiert“.

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