„Ich bin stolz auf meinen Sohn“

■ Das Landgericht auf den Spuren der Verweigerer-Persönlichkeit / Mutter als Zeugin / Staatsanwalt konnte nicht folgen / In Bremen werden Totalverweigerer zwar verurteilt, müssen aber bisher nicht in den Knast

„Wenn hier jemand bestraft werden muß, dann bin ich es“, läßt sich die Mutter des Totalverweigerers Roland Bachmann mit tränenerstickter Stimme in dem riesigen Saal des Landgerichts vernehmen. Sie war gestern die einzige Zeugin in der Berufungsverhandlung ihres Sohnes. In erster Instanz war Bachmann vom Amtsgericht zu acht Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, weil er sich als anerkannter Kriegsdienstverweigerer auch dem Ersatzdienst entzogen hatte.

Sie habe ihren Sohn nach dem christlichen Grundsatz „Liebe

deinen Nächsten wie dich selbst“, erzogen, verantwortungsvoll und selbstbewußt, sagte Frau Bachmann. „Ich bin stolz auf ihn und seine konsequente Haltung. Er steht ja nicht wegen eines Verbrechens hier vor Gericht, sondern weil er sich Befehlen nichtunterordnen will, von denen er heute nicht weiß, wie sie morgen aussehen werden.“

Genau das verlangt nicht nur der Wehrdienst von ihm, sondern auch der Zivildienst, meint Roland Bachmann: Wer eine dienstliche Anordnung befolgt, ist von seiner persönlichen Verantwor

tung befreit, heißt es sinngemäß in den Dienstvorschriften, und just das ist es, was ihm sein Gewissen verbietet. Bachmann will seine Eigenverantwortung nicht aufgeben.

Richter Werner Oetken begab sich vor vollen Zuschauerrängen auf die Spur der Verweigerer-Persönlichkeit: Er fand heraus, daß Bachmann vom Gymnasium geflogen war, eineMaurerlehre aber beendet hatte. Eine feste Stelle als Hochofenmaurer verließ er mit Hilfe eines Krankenwagens: Als seine Kolonne eine Halle pflastern sollte, die gerade neu gepflastert worden war, konnte er die Sinnlosigkeit dieser Arbeit nicht ertragen. Ihm wurde schlecht. Kurz darauf kündigte er.

Dem Staatsanwalt Henning Herrmann rauchte bei diesen Erklärungen der Kopf. „Ich kann die Argumente des Angeklagten nicht nachvollziehen“, gestand er in seinem Plädoyer und verlangte, daß das Gericht die Berufung Bachmanns zurückweist und ihn für acht Monate ins Gefängnis schickt.

Bachmanns Antwort: „Sie machen es sich zu einfach! “. Der Staatsanwalt gebe sich keine Mühe, seine Argumente zu verstehen - er aber müsse die acht Monate Gefängnis „nachvollziehen“, wenn er verurteilt werde.

Bachmanns Verteidiger Günter Werner forderte Freispruch

für seinen Mandanten. Er legte dar, daß Wehrdienst und Zivildienst eng miteinander verzahnt seien: Im Ernstfall wären die Wehrdienstverweigerer ein Teil der Zivilverteidigung, würden Hilfsdienste an der „Heimatfront“ leisten und damit die militärische Kriegsführung erleichtern.

Die Justiz verlangt von Bachmann, daß er sich aus Angst vor Strafe gegen sein Gewissen verhält. Rechtsanwalt Werner: Der Angeklagte stehe vor der Alternative, entweder ein „zwielichtiges Leben“ zu führen, indem er nicht nach seinem Gewissen handelt - oder aber das Zivildienstsgesetz zu brechen.

Acht Monate Gefängnis für

Totalverweigerung, „das sind die Preise“ der Bremer Justiz, bisher auch die des Richters Oetken, sagte Rechtsanwalt Werner. Doch in den Knast mußte keiner der drei Verweigerer, die in den letzten Jahren in Bremen verurteilt worden waren. Einer erreichte beim Oberlandesgericht, daß seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, den zweiten begnadigte die Generalstaatsanwaltschaft. Die Revision des dritten ist anhängig - nun schon seit mehreren Jahren.

Bis zum Dienstag der kommenden Woche hat das Landgericht nun Zeit, ein Urteil zu fällen. Um 14.00 soll es im großen Schöffengerichtssaal verkündet werden.

Michael Weisfeld