„Ich bin ihm noch was schuldig“

■ Günter Wallraff zu den Vorwürfen seines ehemaligen Mitarbeiters Levent Sinirlioglu und anderer / „Die von mir in Ganz unten beschriebenen Erlebnisse habe ich so erlebt“

taz: Günter, im neuen Spiegel erheben zwei deiner ehemaligen türkischen Mitarbeiter schwere Vorwürfe. Du wirst als schlechter Arbeitgeber, als geld– und ruhmsüchtig dargestellt. Zudem behauptet Uwe Herzog, 28 des 256 Seiten umfassenden Buches „Ganz unten“ komplett alleine geschrieben zu haben. Warum hast du Fremdbeiträge nicht als solche gekennzeichnet? Günter Wallraff: Die von mir in der Ich(Ali)– Form beschriebenen Erlebnisse habe ich so erlebt. Uwe Herzog hat sieben Seiten Protokolle, die ab der zweiten Auflage auch als Fremdbeiträge kenntlich gemacht sind, geliefert. Darin geben Arbeiter aus Atomkraftwerken ihre Erfahrungen wieder, die dem Kapitel „die Falle“ vorangestellt sind. Herzog hat also keine 28seitige Geschichte geschrieben? Das ist völliger Unsinn. Das sind sieben Seiten Protokolle, die als solche gekennzeichnet sind. Dann gibt es noch zwei Seiten im Buch über den Bauunternehmer Keitel - in einem Kästchen eingerahmt - , die Herzog geliefert hat. Die von Levent Sinirlioglu im Spiegel genannte Klo–Szene bei Vogel habe ich auch erlebt. Beide Erlebnisse sind zusammengeschmolzen. Taner Aday, der die von dir eingerichtete „Beratungsstelle Ausländersolidarität“ in Duisburg führte, wirft dir vor, diese als reine „Alibi–Einrichtung“ betrieben zu haben. Mit dem Erfolg des Buches hat niemand gerechnet. Ich selbst auch nicht. Als er dann eintrat, habe ich mich ganz spontan und emotional entschlossen, Teile des Honorars an die Opfer der Verhältnisse umzuverteilen. Da war vieles von mir nicht sehr durchdacht. Taner Aday wollte die Beratungsstelle selbstständig leiten, war dazu aber nicht in der Lage. Er hat mir 180 Arbeitsstunden in Rechnung gestellt - da drüben liegt die Rechnung - und dafür hat er 3.600 DM verlangt und auch bekommen. Soviel zur Ausbeutung. Ich habe das Büro später aber ganz bewußt geschlossen. Nach einer Veranstaltung in Oberhausen hatte ich kein Vertrauen mehr zu Taner Aday. Er und weitere Freunde seiner Organisation haben dort in einer Weise agiert, die ich absolut nicht akzeptieren konnte und kann. Das war politisch so elitär, verbunden mit einem durch nichts gerechtfertigten Führungsanspruch, da mache ich nicht mit. Einen türkischen Thyssen–Betriebsrat, Mitglied der IG Metall, bezeichnete Taner Aday z. B. öffentlich als „Sozialfaschisten“. SPD–nahe Gewerkschafter wurden kurzum als „Arbeiterverräter“ und „Spitzel“ denunziert. Mir wurde von der Organisation, der Levent auch angehört, vorgeworfen, daß ich mit dem DGB Veranstaltungen machte und man versuchte, mich politisch zu vereinnahmen. Was ist aus der Beratungsarbeit geworden? Wieviel Geld hast du da reingesteckt? Das ist dann z.T. über den Verlag und über mein Kölner Büro gelaufen. Für juristische Hilfen und Notlagen habe ich etwa 300.000 DM gegeben. Weiteres Geld wolltest du über eine Stiftung in ein Wohnmodell leiten. Wieviel? Ich habe dazu 1,7 Mio DM aus den Honoraren festgelegt, die entsprechend den Bauanforderungen abfließen. Wer kontrolliert das? Die Stiftungsleitung, der u.a. Rupert Neudeck und ein Rechtsanwalt angehören. Vogel, dein ehemaliger Chef, hat kurz vor der Berufungsverhandlung seine Klage in München zurückgezogen, obwohl seine Chancen gut standen. Der Spiegel mutmaßt, du hättest daran gedreht, da Vogel ein Buch machen will und ausgerechnet der linke Steidl–Verlag, im dem du auch mal veröffentlicht hast, sich zur Herausgabe bereitgefunden hat. Das paßt wunderbar in die Geschichte, hat mit der Realität aber auch gar nichts zu tun. Ich hatte meine Verteidigungsrede schon fertig und wurde von dem Rückzug selbst vollkommen überrascht. Weder ich, noch meine Anwälte haben jemals irgendeinen Kontakt mit Vogel gehabt. Auch nicht über Umwegen? Das wäre wirklich genial gewesen, aber so genial bin ich leider nicht. Frag Vogel doch mal selbst. Mehrere Versuche sind bisher leider gescheitert. Levent Sinirlioglu wirft dir im Spiegel vor, durch dein Verhalten nach der Buchveröffentlichung „den Türken die selbständige Vertretung ihrer Interessen eher erschwert“ zu haben. Ich habe von betroffenen Türken eigentlich immer das Gegenteil gehört. Über Leiharbeit haben alle gesprochen, über Ausländerfeindlichkeit und Rassismus schon weitaus weniger. Das Thema ist immer verdrängt worden, aber doch nicht durch das Buch. Da sind eine ganze Reihe von positiven Initiativen und Diskussionen entstanden und vielen hat das Buch auch Mut gemacht. Einige halten dir vor, das Bild vom armen, erniedrigten, immer leidenden, in der Masse untergehenden Türken verstärkt zu haben. Türken als Individualisten, als unabhängige, selbstbewußte, starke Persönlichkeiten kämen bei dir nicht vor. Der „Ali“ im Buch ist doch nicht jemand, der alles schluckt. Der teilt auch aus - und das nicht zu knapp - , ist witzig und intelligent. Ich habe nicht die Situation von türkischen Intellektuellen beschrieben, sondern der Menschen, die unter miesen Bedingungen arbeiten müssen. Aus vielen Briefen und Gesprächen weiß ich, daß sehr viele türkische Leser mit dem Buch was anfangen können. Ob Levent aus politischen Gründen diesen Vorwurf erhebt, ich weiß es nicht. Ihn beurteile ich übrigens ganz anders als Taner Aday. Dem Levent werde ich nie vergessen, daß er mir zu einem Zeitpunkt, wo mit dem Erfolg des Buches niemand gerechnet hat, selbstlos, bei hohem eigenen Risiko seine Papiere zur Verfügung gestellt hat. Wenn ich ihn brauchte, war er da. Seine Kritik nehme ich sehr ernst. Und ihm bin ich auch noch was schuldig. Daß ich das nicht einlösen konnte, liegt aber auch an ihm. Er hat seit einem Jahr jeglichen Kontakt vermieden. Er hatte mich abgeschrieben. Für ihn gehörte ich zu denen in den höheren Regionen. Subjektiv stellte sich das für ihn wohl auch so dar. Aber es war ja anders. Nie im Leben ging es mir so dreckig wie in der Zeit nach der Veröffentlichung. Was da losging, waren Sperrfeuer aus allen Ecken, das war ein Kriegszustand, der immer mehr eskalierte. Das hat mehr Phantasie, mehr Kraft, mehr Ausdauer gekostet als die Rolle selbst, und mehr, als das Buch zu schreiben. Ich wurde quasi aufgefressen. Es gab mich gar nicht mehr. Wichtige Freunde, meine engsten Familienangehörigen, diejenigen, die die Arbeit mit gemacht haben, sind dabei total zu kurz gekommen. Vielleicht merkt Levent ein wenig, wenn er jetzt in diesem Medienspiel mitmacht, wie es mir damals ergangen ist. Vielleicht ist die Auseinandersetzung mit ihm dann wieder möglich. Ich bin bereit, über meine Fehler zu diskutieren. Nicht im Spiegel und nicht in der Quick, nicht in dieser sensationsgeilen Presse, die uns in die Arena treibt und sich daran weidet, wie sich jene zerfleischen, die eigentlich auf derselben Seite stehen. Interview: Jakob Sonnenschein