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Archiv-Artikel

„Ich bin ein extremer Mischling“

„Die meisten hadern mit ihrem Schicksal, was ich nicht begreife! Wer hier lebt, hat – global gesehen – das große Los gezogen.“

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

taz: Herr Nuhr, bei Rot-Grün war der politische Witz eher schwarz-braun. Haben Sie es jetzt unter Angela Merkel leichter?

Dieter Nuhr: Schwarz-braun? Das ist an mir vorbei gegangen. An sich kommt der politische Witz immer von der anderen Seite. Die NPD hat so etwas mal versucht, ist aber wohl daran gescheitert, dass sie nicht genügend Alphabetisierte für die Bühne gefunden haben.

Aber wie ist es jetzt unter Merkel für Sie?

Mir macht es keinen Spaß, auf den Leuten in Berlin rumzuhacken. Früher hatte das etwas von Majestätsbeleidigung. Heute sind sich im Saal eh alle einig, dass die Politiker korrupt sind.

Ist es also witzig, Politiker zu loben?

Hab‘ ich schon mal versucht. Aber dann hab‘ ich das nervlich nicht ausgehalten.

Früher hatten Kabarettisten eine feste politische Heimat. Haben Sie eine?

Schwer zu sagen. Ich komme viel ‘rum in der Welt. Da bekommt man eine eher globalisierte Sicht zur Weltpolitik. Man sieht, dass Globalisierung nicht etwas ist, was man verhindern könnte. Sie ist einfach da. Manche Leute diskutieren noch, ob es die Globalisierung geben sollte oder nicht. Das ist ein bisschen so, als ob man bei einem starken Wolkenbruch ein Gesetz machen will, in dem es dem Wasser nur erlaubt ist, nach oben zu fließen. Insofern hab ich mit Globalisierungskritikern nicht viel am Hut. Andererseits bin ich grünes Gründungsmitglied, bin mit der Alternativbewegung aufgewachsen. Meine ganze Kultur kommt aus dieser Ecke. Ich bin politisch ein extremer Mischling.

Haben sie eine Message in Ihrem Programm?

Keine politische. Ich bin mal meine Programme durchgegangen und habe nach einer Grundhaltung gesucht. Es ist wichtig, das Leben positiv anzunehmen.

Das klingt ganz schön esoterisch.

Naja, die Menschen in diesem Lande tun sich schwer mit der Kunst zu Leben. Das überlässt man den alleinerziehenden Frauen mit zwei Kindern, die ohne Mann und mit Hartz IV zurecht kommen müssen. Die müssen die Kunst des Lebens lernen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Aber die meisten hadern doch mit ihrem Schicksal, was ich gar nicht begreife: Wenn man in Deutschland lebt, hat man – global gesehen – doch das große Los gezogen.

Johannes Rau sagte auch gerne, die Deutschen jammern auf hohem Niveau.

Absolut meine Meinung. Der Mann ist sowieso unterschätzt.

Sind Sie auch so moralisch wie Rau, so religiös?

Eher das Gegenteil. Ich finde es immer komisch, wenn Menschen genau wissen, was Gott will. Ich würde mir dieses Urteil nicht anmaßen. Ich weiß nicht, wo alles herkommt und wo alles hingeht. Ich hab bisher auch keinen Menschen getroffen, der mir das glaubhaft vermitteln konnte. Moral hingegen wird unterschätzt. Moral funktioniert hier doch noch ganz gut. Das sieht man daran, wie wenige Großmütter im Parkhaus überfallen werden. Unsere Gesellschaft ist in weiten Teilen ziemlich in Ordnung.

Sie sind in Wesel geboren. Ist der Ort noch wichtig für Sie?

Da muss ich vorsichtig sein. Ich habe mal Wesel in Wesel als potthäßliche Stadt bezeichnet und dafür furchtbar Schelte bekommen. In Leserbriefen stand: Was ich mir einbilden würde! Seitdem sage ich: Wesel ist eine wunderschöne Stadt. Da sollte jeder mal gewesen sein, unbedingt.

Sie können als Wahl-Düsseldorfer auf Lokalkolorit verzichten?

Ich bin regionsfrei. Ich kann auch in Berlin auftreten und die Leute verstehen mich. Wenn Herbert Knebel in Bayern auftritt, fragen sich die Leute sicher: Was der so redet?

Ist Düsseldorf eine humorlose Stadt?

Sagt man Düsseldorf nach, ist überhaupt nicht der Fall. Ich bin in dieser Stadt extrem gern. Düsseldorf hat deutschlandweit den miesesten Ruf. Es gibt Städte, da einigt man sich drauf, dass man die nicht gut findet. Es finden ja auch alle Leute Köln schön. Und wenn man die Äußere Kanalstraße lang fährt, kann man das nicht immer nachvollziehen.

Sie wohnen aber in Ratingen.

Ja, ich bin gern in ganz kleinen Städten. Es gibt eine Fußgängerzone mit Tchibo, Handy-Laden und Rathaus. Da hat man alles, was man braucht. Naja, bei Zitronengraß wird es schwierig. Ratingen ist nicht die Stadt der exotischen Gewürze.

Ist es nicht „daneben“, dass Sie bei den Privatsendern arbeiten?

Bei den Öffentlich-Rechtlichen reden in der Regel mehr Leute dazwischen. Es gibt Gremien, die Konzepte sehen wollen. SAT1 hat Sendezeit für meinen Vierteiler „Gibt es intelligentes Leben auf der Erde?“ ‘raus getan, bevor die Leute ansatzweise wussten, wie die Sendung aussieht. Wenn mir jemand den Redakteur zeigt, der das bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten macht, dann bin ich ab sofort nicht mehr bei den privaten Sendern zu sehen.

Haben Sie Glück gehabt, dass Berlusconi nicht SAT1 aufgekauft hat? Dann hätten Sie keine Mussolini-Witze mehr machen dürfen.

Glaub‘ ich nicht. Sogar als Leo Kirch den Sender besaß, hatte man relativ viel Spielraum. Ich kenne keinen Fall, in dem Kirch in das Programm reingeredet hat. Das sind Geschäftsleute. Es geht um Quote und Gewinn. Das ist doch ein ehrlicher Maßstab, den die Öffentlich-Rechtlichen auch anlegen. Aber sie verbrämen dies mit den Gremien. Dann kommen irgendwelche Redakteure, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, und erklären einem, was man im Leben alles falsch gemacht hat. Es gibt da auch nette Leute. Aber Ärger hatte ich nur bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Der schönste Ärger?

Der WDR hat mich bei den „Mitternachtsspitzen“ sechs Wochen vor der letzten Bundestagswahl ausgeladen und andere eingeladen, weil sie da sicher waren, dass sie einen stromlinienförmigen Inhalt bekommen.

Die 1968-er sind in die Fabriken gegangen, um die Massen zu agitieren. Ist das Ihr heimliches Motiv, doch bei Dudelsendern aufzutreten?

Das wäre vermessen. Aber natürlich bereitet es mir eine diebische Freude, wenn eine breite Masse über etwas ganz anderes lachen kann, als über das, was gemeinhin auch bei ARD und ZDF als deutscher Fernsehhumor bezeichnet wird.

Erst haben Sie den Deutschen Kleinkunstpreis bekommen, fünf Jahre später den Comedypreis. Haben Sie den Beruf gewechselt?

Mein ganzer Stolz ist, dass ich beides gleichzeitig bin. Beide Seiten bekämpfen sich ja gerne. Kabarettisten sagen, Comedy sei hirnlos und dumm und dann machen sie doch Witze über Angela Merkels Frisur. Umgekehrt waren Comedians beleidigt, weil einer auf der Bühne inhaltlich was zu sagen hat. In Deutschland wird die Humordiskussion sehr verbissen geführt. Dabei gibt es Leute, die sagen: „Zwischen Kabarett und Comedy gibt es nur einen entscheidenden Unterschied: Die Comedians machen es wegen dem Geld und die Kabarettisten machen es wegen des Geldes.“ Ein ziemlich blöder Scherz!

Sie haben ihre Tour in der Handballhalle von Dormagen begonnen. Ist Ihnen finsterste Provinz lieber als etwa die Tonhalle Düsseldorf?

Die finsterste Provinz ist nicht in Dormagen. Die Leute schlafen da nur und fahren zum Arbeiten in die Großstadt. Sie kennen also Ampeln und so was. Richtig finster ist die Provinz ja nirgendwo mehr. Strom gibt es überall. Die Tonhalle hat natürlich etwas Edles. Aber in Dormagen ist es schön, weil die Stimmung nicht so zurückhaltend ist. Und es gibt kein Polster, das die Leute dreckig machen, wenn sie beim Lachen spucken.