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Archiv-Artikel

„Ich baue keine Mausoleen“

UNEITEL Der Architekt Bernhard Tschumi hat das Akropolis-Museum in Athen entworfen. Ein Gespräch über den Neubau, die Gefahr von Masterplänen und Gebäude-Solitären

Bernhard Tschumi

■ Architekt und Architekturtheoretiker, kam 1944 im westschweizerischen Lausanne zur Welt. Er studierte in Zürich und lehrt heute in Princeton und am Institute of Architecture and Urban Studies in New York. Zu seinen verwirklichten Entwürfen zählen der Parc de la Vilette in Paris und die Zénith-Konzerthalle in Rouen. In der Dominikanischen Republik hat er einen Ort für 40.000 Einwohner entworfen.

INTERVIEW ANDREAS TOELKE

taz: Herr Tschumi, trotz der Säulentempel-Klischeebilder von Athen steht Ihr Akropolis-Museum in einer ansonsten gesichtslosen Stadt. Soll ein Solitär das Profil Athens schärfen?

Bernhard Tschumi: Ich sehe das Museum – bis auf die Größe – nicht als Solitär. Im Umfeld stehen Häuser aus den 50er- und 60er-Jahren. Wir haben genau die gleiche Höhe wie die umliegenden Gebäude. Nur die Glasgalerie, die Pantheon-Halle auf dem Dach, ist 5 Meter höher. Steht man in der Halle, sieht man also zur einen Seite über die Dächer und zur anderen zur 300 Meter entfernten Akropolis hoch. Zu keinem Zeitpunkt wollten wir die Stadt überflügeln.

Und die Pantheon-Halle hat die gleiche Größe wie der weltberühmte Pantheon-Tempel auf der Akropolis?

Sie ist ein bisschen größer. Der Fries läuft als Band über die vier Seiten im inneren Kubus und die Säulen davor sind im Originalabstand zum Fries. Im Pantheon auf der Akropolis sind sie die „Außenwände“. Wir haben einen Glaskasten über das gesamte Ensemble gesetzt, der logischerweise größer ist.

Der ist einer der Eyecatcher – ähnlich beeindruckend ist der Eingang und der innere Treppenaufgang. Wie wichtig ist so eine Inszenierung für Architektur, die das Potenzial zur Ikone hat?

Ich mag das Wort „Ikone“ nicht. Da geht es um Image und Oberfläche. Ich bin weit mehr an Architektur interessiert, die Identität schafft. Zu viele Ikonen zerstören Ikonen. In Schanghai zum Beispiel versucht jedes Gebäude eine Ikone zu sein – das hat keinen Sinn.

Wer ein Projekt wie das in Athen annimmt, muss also den egozentrischen Architekten, der Selbstverwirklichungsgebäude schafft, außen vor lassen? Sind Sie so bescheiden?

Jede Architektur – ab einer bestimmten Größe – hat etwas Überwältigendes und kann als „egozentrisch“ phrasiert werden. Das Thema ist aber nicht, zu überwältigen, sondern die Feststellung, die man damit trifft. Das Akropolis-Museum ist ein Statement zu einer Idee – der Glaspavillon im Dialog mit der Akropolis, die Wandelhalle als Inszenierung für die Statuen. Mit anderen Worten: Ich als Architekt bin derjenige, der Fragestellungen aufnimmt und Lösungen schafft.

Ich glaube nicht, dass es bescheidene Architektur im öffentlichen Raum gibt, und demzufolge gibt es auch keine bescheidenen Architekten.

Ich baue nicht für mich selbst. Ich werde in Projekten immer versuchen, rücksichtslos, objektiv zu sein. Da kann ich nur für mich sprechen. Wenn ich einmal die verschiedenen Situationen begriffen habe, ihr Potenzial und ihre Probleme, dann beginne ich mit dem Design und setze dieses Wissen um. Erst sehr, sehr spät kommt meine subjektive Sicht in den Entwürfen zum Tragen. Ich halte mich lieber zu lange zurück, als zu früh emotional zu werden.

Ist es denn nicht verführerisch, von Anfang an „rücksichtslos“ zu entwerfen?

Das wäre unglaublich zügellos. Ich baue keine Mausoleen für mich selbst. Ich weiß, dass Architektur nicht unschuldig ist. Architektur kann Menschen zusammenbringen, kann sie aber genauso gut isolieren. Ich muss wissen, was ich tue. Das ist für mich die wichtigere Frage, als zu wissen, wie es aussieht.

„In manchen Wirtschaftsplänen“, moniert Bernhard Tschumi, „haben Gebäude gerade mal einen Zeitwert von 20 Jahren“

Ist das einer der Gründe, warum Architekten erst ab einem bestimmten Alter große Projekte kriegen?

Ich bin mir ganz sicher, dass man brillante Projekte schon in jungen Jahren realisieren kann. Es hilft natürlich, wenn man schon ein paarmal um die Häuser gezogen ist. Um es mal so lapidar auszudrücken.

Sie haben das gleiche Stigma wie Zaha Hadid: Sie galten beide als ungebaute Architekten. Großartige Entwürfe, gewonnene Wettbewerbe, aber nichts ist realisiert.

Zaha Hadid ist sechs Jahre jünger – aber wir sind aus einer Generation, man nannte uns die „Papier-Architekten“. Jeder war begeistert von den Entwürfen, und fast jeder hat kommentiert: „Das wird nie gebaut.“ Die Architekten der älteren Generation, die in den 80er-Jahren sehr gefragt waren, hatten damals gerade die Vergangenheit entdeckt und sich fast alle mit dem 18. und 19. Jahrhundert auseinandergesetzt. Das Ergebnis sieht man heute übrigens sehr deutlich in Berlin. Wir waren damals schlicht zu visionär.

Warum reagieren Menschen so emotional und oft so ablehnend auf neue Wege in der Architektur?

Es ist wie in der Politik. Die, die am lautesten sind, die sich dauernd äußern, sind nicht unbedingt die, die sich am besten auskennen. Beim Akropolis-Museum hat es 104 Gerichtsverfahren gegeben, um das Gebäude aufzuhalten. Zu einigen kam es durch Bewohner von Häusern, die abgerissen werden mussten. Die konnte ich ja verstehen. Andere wurden durch Archäologen angestrengt, die Angst vor der Vernichtung von Artefakten hatten. Es gab zwei Lager: Ist das nicht toll, so eine Bühne zu schaffen, die Altes und Neues verbindet. Das andere Lager wollte nur bewahren. Die wollten das Museum in der Nähe des Flughafens gebaut wissen. Und natürlich die Politiker, die nicht wollten, dass sie Entscheidungen einer abgewählten Regierung umsetzen müssen, und schon aus Prinzip dagegen waren.

Das scheint manchmal ein Reflex zu sein.

Ja, wenn es grundlegende Veränderungen gibt, wie es historisch betrachtet etwa die Einführung der Eisenbahn war, und damit einhergeht, dass Bahnhöfe aus gigantischer Stahlarchitektur entstehen, dann sind sehr viele Menschen darüber unglücklich. Den Eiffelturm haben die meisten gehasst. In anderen Worten: Wenn etwas einen historischen Sprung markiert und nicht evolutionär in kleinen Schritten passiert, dann macht das Angst. Außerdem werden natürlich Gebäude, die eine überdimensionale Größe jenseits von Einfamilienhäusern haben, viel kritischer betrachtet. Aber sie geben einer Stadt eben einen besonderen Charakter. Pläne aus dem antiken Rom veranschaulichen das. Viele kleine Häuser und daneben öffentliche Plätze und Gebäude, die die Dimensionen komplett sprengen. Die Piazza Navona ist total überdimensioniert. Und das ist es, was Rom ausmacht.

Sie sprechen sogenannte „Masterpläne“ an, wie sie in der Moderne Corbusier 1925 für Paris entworfen hat. Aktuell werden in China Städte aus einer Architektenhand aus dem Boden gestampft. Ist das ein Konzept für die Zukunft?

Showroom für die Antike

■ Am 20. Juni öffnet das Akropolis-Museum in Athen seine Pforten. Endlich – 15 Jahre sind mit Planung und Bau verstrichen, fünf verschiedene Regierungen als Bauherren aufgetreten, 104 Gerichtsverfahren geführt worden. Das Gebäude, das die Kunstwerke aus der griechischen Antike beherbergt, will sich nicht selbst in den Vordergrund schieben, wie es bei jüngeren Museumsneubauten oft der Fall ist. Stattdessen versucht es, sich in den Dienst der Kunstwerke zu stellen und dabei die Beziehungen zur Stadt Athen und zu den Gebäuden der Akropolis in Szene zu setzen.

Nein. Ein Architekt sollte so oft wie möglich das Gegenteil von dem machen, was von ihm verlangt wird. Heute wollen Regierungen und Investoren die Sicherheit des ökonomischen Mehrwerts. Architekten sollen die Basis dafür liefern, Pakete aus Design, Mach- und Finanzierbarkeit schnüren. Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden getroffen, bevor der Architekt ins Spiel kommt. Mir wäre es umgekehrt viel lieber. Nicht für die Voraussetzungen einen Entwurf zu schaffen, sondern mit dem Entwurf die Voraussetzungen. Das würde eine Architektur schaffen, die einen Bestand über Generationen garantiert.

Lassen Sie uns über Architektur und Moral sprechen. Großprojekte und Megastädte aus einer Hand sind bestes Beispiel für die Omnipotenzgefühle einzelner Architekten.

Wenn ich in Peking bei Diskussionen nachfrage, was für das urbane Leben der Einwohner gemacht wird, wenn ich nachhake, um zu erfahren, was es für die Menschen bedeutet, wenn ganze Viertel zerstört werden, um Hochhäuser zu errichten, dann sorgen schon die Fragen für Irritation. Und als Antwort kommt etwas später: Machen Sie sich keine Sorgen um die zwölfspurigen Straßen und die Gebäude mit 25 Stockwerken. In 20 Jahren reißen wir sie wieder ein. Es sind sehr oft die Bauherren, die dem Architekten eine Art Spielwiese bieten, die, wenn man eitel ist, allzu verführerisch wirkt.

Warum wird Architektur zum Wegwerfprodukt?

Viel Architektur sollte sowieso verschwinden, weil sie schlecht ist. Und dann haben Gebäude in manchen Wirtschaftsplänen gerade mal einen Zeitwert von 20 Jahren. Dann haben sie sich finanziert und den erwünschten Profit gebracht. Ökonomisch logisch. Ich bin Architekt, kein Entwickler, kein Banker. Aber ich muss an bestimmten Punkten wissen, wie sie denken. Manhattan ist aus Gier gebaut, und trotzdem findet sich dort architektonische Intelligenz. In Schanghai, Mumbai und Dubai leben die treibenden Mächte aber von kurzfristigen Kicks. Das wird an vielen architektonischen Beispielen lesbar. Wir arbeiten gerade an einem Projekt in Santo Domingo für 40.000 Menschen. Die Basis ist natürlich das ökonomische Interesse. Wir bauen über 25 Jahre, das heißt, ich musste eine Strategie entwickeln, die greift, auch wenn es mich nicht mehr gibt. Die Sinn hat, selbst wenn sich die Grundlage, warum diese Stadt entsteht, komplett verändert. Und hier schließt sich der Kreis: Manhattan ist aus Gier, aber auch mit einer urbanen Strategie entstanden – das wird heutzutage oft vergessen. Strategien jenseits einer schnellen Bedürfnisbefriedigung sind in narzisstischen Zeiten schwer zu entwickeln.