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Archiv-Artikel

ITALIENISCHES MILITÄR KANN MAFIA IN NEAPEL NICHT BESIEGEN Camorra wird Sturmgewehre ignorieren

Marschiert Italiens Armee jetzt ins eigene Land ein? Wichtige Politiker aus der Opposition, aber auch aus dem Regierungslager hätten es gern, wenn ganze Bataillone auf Neapels Straßen Posten beziehen. Dort sollen sie der Camorra Angst machen, der neapolitanischen Mafia. Die nämlich hat die Stadt im Griff wie eh und je, macht dicke Geschäfte nicht nur mit Drogen, sondern auch mit Schutzgelderpressung oder ganz „regulär“ mit der Kontrolle kompletter Wirtschaftssektoren.

Doch mit dem Sturmgewehr über der Schulter wird man dieser Macht niemals beikommen. Schon mehrfach hat Italien Soldaten ausgeschickt in den letzten 15 Jahren, mal nach Sizilien, mal nach Neapel. Die Mafia nahm es zur Kenntnis – und machte einfach weiter. Sie hat halt verlässliche Stützen, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik. Sie ist eben nicht bloß „organisierte Kriminalität“: Zur Mafia wird sie, ob in Palermo oder in Neapel, weil alle die Bosse kennen, mit Vor- und Nachnamen. Und weil so gut wie alle den Bossen Respekt zollen, sei es aus Angst oder weil die Mafia liefert, was der Staat vorenthält: kriminelle „Arbeit“, ein Auskommen oder auch nur die Schlichtung von Nachbarschaftsstreitigkeiten.

Einmal, Mitte der Neunzigerjahre, schien es, als könne Italien die Macht der Mafia brechen. Da war die Rede vom „Palermitaner Frühling“ und von der „Renaissance Neapels“, da wurden Bosse zu Dutzenden verhaftet, da wachte die Zivilgesellschaft auf. Doch am Ende ließ der Staat sie allein. Kaum hatte Siziliens Mafia auf spektakuläre Morde an Staatsanwälten und Politikern verzichtet, da genoss der Anti-Mafia-Kampf keine Priorität mehr, auch nicht bei der politischen Linken. Staatsanwälte, die die Weiße-Kragen-Komplizen der Mafia in Wirtschaft und Politik verfolgen wollten, fühlten sich plötzlich wieder isoliert.

Die Botschaft kam an: Solange Mafia und Camorra es nicht zu toll treiben, haben sie nichts zu fürchten. Statt Armeeeinheiten braucht Neapel daher ein politisches Signal aus Rom: dass der italienische Staat nicht mehr mit der Mafia zusammenleben will. MICHAEL BRAUN