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ITALIEN: NEUE BÜNDNISSE UNTER DEM DACH DER GEWERKSCHAFTRömischer Horizont

Überflüssig zu sagen, dass Ministerpräsident Silvio Berlusconi mit der Demonstration wenigstens eine Runde im Match gegen die Gewerkschaft CGIL verloren hat. Denn in Rom ging ein Ereignis über die Bühne, das eigentlich gar nicht hätte stattfinden können – zumindest wenn man dem Ministerpräsidenten glauben wollte. „Konservativ“ sei der Protest, erklärte er seit Wochen; eine „enge Korporation“ verteidige da bloß ihre Privilegien, unsensibel gegen die armen Arbeitslosen und die jungen Leute in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die mangels weiterer Flexibilisierung keinen richtigen Job erhielten.

Doch statt der beschworenen „Korporation“ der Fünfzigjährigen mit sicherem Job hat sich in Rom ein soziales Bündnis zusammengefunden, das weit über die traditionelle Gewerkschaftsklientel hinausreicht. Berlusconis Rechnung, man müsse nur „egoistischen Arbeitsplatzbesitzern“ ein paar Rechte streichen und dann das Ganze als Dienst an der Jugend verkaufen, um die Gewerkschaft in Thatcher-Manier abzumeiern – diese Rechnung machten hunderttausende Jugendliche nicht mit, die die Gewerkschaft jetzt als Partner entdeckten. Und Gewerkschaftschef Sergio Cofferati war am Ende seiner Rede nicht ohne Grund gerührt: Sein Verein, von den Jungen jahrelang als verzopfter Verein älterer Herrschaften verspottet, hat auf einmal eine hohe Attraktion gewonnen – mit der Forderung nach mehr Schutzrechten für alle, vorneweg für die Millionen prekär beschäftigten Jugendlichen. Berlusconi findet aber womöglich Trost in der Tatsache, dass er nicht der einzige Verlierer des Tages ist. Auch von links war Cofferati jahrelang als vermeintlicher Urheber eines Generationenkonflikts und als Innovationsverhinderer geschmäht worden.

Verkehrte Welt: All diejenigen, die seit Ewigkeiten auf den schwer durch Rentnerüberhang geprägten Kundgebungen der innovationsfreudigen Linksdemokraten nicht mehr gesichtet wurden – nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die enttäuschten Intellektuellen Italiens –, alle kamen sie am Samstag zum „konservativen“ Cofferati. Und im Zug marschierte auch Parteichef D’Alema mit, samt der kompletten Führungsriege seiner Linksdemokraten. Und alle anderen Oppositionsparteien waren auch vertreten. Die breiten Bündnisse und die neuen Generationenverträge, die den aufgeschlossenen Linksdemokraten nicht gelingen – sie wurden ausgerechnet von der Gewerkschaft mit dem angeblich engen Horizont zu Wege gebracht. Von einer Gewerkschaft, die sich die heute ziemlich unmoderne Frage immer noch erlaubt, welche Modernität da eigentlich in Italien und anderswo auf dem Vormarsch ist. MICHAEL BRAUN

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