ISRAEL: ULTRARECHTER PARTEICHEF WILL SELBST REGIERUNGSCHEF WERDEN : Hauptsache mitregieren
Es scheint, als gäbe es in Israel keinen einzigen Politiker mehr, der über Rückgrat verfügt. Wo früher Ideologien das Geschäft bestimmten, stehen heute Machtpolitik und persönliche Interessen. Sie liegen auch der kommenden Umbildung der israelischen Koalitionsregierung zugrunde.
Selten zuvor standen die Vorzeichen so günstig für Israels radikale Rechte. Der Libanon-Krieg ist katastrophal verlaufen; mehr als hundert Soldaten fielen, ohne dass auch nur ein einziges Ziel erreicht wurde. Die Vierparteienregierung ist über den Haushalt zerstritten. Und Ministerpräsident Olmert ist seines zentralen Projektes beraubt, des Teilrückzuges aus dem Westjordanland bei gleichzeitiger Teilannexion. Der Verdruss über die Politik lässt viele Sympathien in der israelischen Bevölkerung ins extrem Nationale umschwenken. Doch statt in günstiger Stunde gegen die Regierung zu streiten, greift der bisweilen gar als Faschist verrufene Avigdor Lieberman von der rechtsnationalen Immigrantenpartei jetzt dem Regierungschef rettend unter die Arme. Es geht ihm allein darum, Olmerts Nachfolger zu werden. Wenn er tatsächlich der Koalition beitreten sollte, würde er die rechte Opposition für die kommenden dreieinhalb Jahre kaltstellen und hätte selbst als Minister jede Chance, seinen Einfluss zu vergrößern.
Lieberman schwebt die eigene Karriere vor Augen, wohingegen Olmert ums reine Überleben kämpft. Der Abzug aus Teilen des Westjordanlandes ist politisch nicht mehr durchsetzbar, deshalb will Olmert nur noch eins: die Regierungsperiode durchstehen. Mit Lieberman an der Seite ist Olmerts Koalition deutlich stabiler, gleichzeitig aber auch in den Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Schon die seit Monaten geplante Auflösung der sogenannten Siedlungsvorposten ist für Lieberman, der selbst in den palästinensischen Gebieten wohnt, ausgeschlossen. Gespräche mit Syrien, wie sie die mitregierende Arbeitspartei und sogar Außenministerin Zippi Livni wiederholt forderte, werden gänzlich zur Utopie. Olmert führt die Regierung zum zweiten Mal auf die Spur seines Vorgängers Ariel Scharon: ins Koma. SUSANNE KNAUL