piwik no script img

Archiv-Artikel

IRAK: DIE REGIERUNG HAT WENIG CHANCEN GEGEN AL-QAIDAS BÜRGERKRIEG Erfolgreich bedrohlich

Es gibt für die sunnitisch-irakischen Aufständischen zwei Möglichkeiten, die Amerikaner militärisch loszuwerden: Entweder sie hoffen auf einen sunnitisch-schiitischen Schulterschluss und gehen gemeinsam gegen das US-Militär vor. Oder sie provozieren einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten und machen so das Land auf mittlere Sicht unregierbar.

Wenn es sich bei der letzten im Internet veröffentlichten Audiobotschaft tatsächlich um die Stimme Ben Ladens handelt, dann gibt das Al-Qaida-Oberhaupt jetzt eindeutig der zweiten Taktik den Vorzug. Das ist eine Wende, die nichts Gutes verheißt.

Noch letztes Jahr soll es zwischen der Al-Qaida-Führung und ihrem Frontmann im Irak, Abu Mussab al-Sarkawi, eine heftige Diskussion über den Sinn und Zweck von Anschlägen auf schiitische Zivilisten gegeben haben. Sarkawi sah darin den besten Weg, das Land in Chaos zu stürzen und damit unregierbar zu machen. Bin Laden und dessen Adjutant Aiman Sawahiri wollten Sarkawi stoppen und setzten dagegen noch auf eine große panislamische Allianz. Jetzt hat Bin Laden erstmals selbst zu Attentaten auf Schiiten aufgerufen.

Will heißen: Die Al-Qaida-Führung ist inzwischen davon überzeugt, dass ein Bürgerkriegsszenario im Irak kaum mehr aufzuhalten und dem Terrornetzwerk am dienlichsten ist. Jetzt geht es ihm darum, die Dynamik zwischen schiitischen Todesschwadronen und sunnitischen Aufständischen bis zum Äußersten auszunutzen. Seine Fußsoldaten im Irak sind ohnehin bereits ein Teil dieses Systems.

Der einzige Störfaktor dabei ist der politische Prozess. Verzweifelt versucht der irakische Premier Nuri al-Maliki das Ruder herumzureißen. Er bedient sich dabei einer Mischung aus Versöhnungsplänen sowie einer Amnestie von sunnitischen Gefangenen auf der einen und einem massiven Polizei- und Militäraufgebot in Bagdad auf der anderen Seite. Das Wochenende hat gezeigt, wie leicht sich dieser Versuch aushebeln lässt: Bin Laden droht den schiitischen „Verrätern“ im Internet und warnt im selben Aufruf die Sunniten davor, sich politisch im Irak einbinden zu lassen.

Um seine Worte zu unterstreichen, richtet eine Autobombe auf einem schiitischen Marktplatz in Bagdad ein unglaubliches Blutbad an. Am gleichen Tag wird eine kooperationsbereite sunnitische Parlamentsabgeordnete verschleppt. Eine Internetbotschaft, eine Autobombe, eine Entführung – und Maliki ist der Boden unter den Füßen weggezogen. Bin Laden und die Seinen haben sich wieder einmal erfolgreich bedrohlich in Szene gesetzt.

KARIM EL-GAWHARY