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INTERVIEWDer Betriebsstopp geht weiter

■ Rechtsanwalt Reiner Geulen ist Prozeßbevollmächtigter der Kläger

taz: Für einen Laien ist kaum nachvollziehbar, daß das Bundesverfassungsgericht (BVG) über fünf Jahre gebraucht hat, um mitzuteilen, daß es – noch – nicht zuständig ist.

Reiner Geulen: Die Verwaltungsgerichte haben seinerzeit gesagt, daß sie nicht weiter entscheiden wollen, bevor das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Alles hat nach Karlsruhe geblickt. Enttäuschend und nicht als normal zu bezeichnen ist, daß das Verfassungsgericht nun die Sache wieder an die Verwaltungsgerichte zurückverwiesen hat. Das ist eine Einschränkung des Rechtsschutzes gegen Atomanlagen.

Wird da die Verantwortung zwischen den Gerichten hin- und hergeschoben, bis die geschaffenen Fakten einen endgültigen Beschluß erübrigen?

Die Verwaltungsgerichte haben recht daran getan, die Entscheidung des BVG abzuwarten wollten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet praktisch, daß sich das Gericht aus der Atomrechtsprechung verabschiedet hat. Vollendete Tatsachen sind allerdings im Falle Gorleben damit nicht geschaffen. Das Lager für abgebrannte Brennelemente ist zwar gebaut worden, aber seit 1985 liegt ein Betriebsstopp vor.

Die Dauer des Verfahrens wird mit der Entscheidung des BVG fast unübersehbar. Was bedeutet das für den Rechtsschutz der Kläger?

Die Betreiber der Anlagen hatten sich vom BVG grünes Licht erhofft. Das haben sie auf gar keinen Fall bekommen. Aber über Gorleben hinaus bedeutet die Entscheidung, daß in Zukunft ein Rechtsschutz gegen Atomanlagen vor dem BVG kaum mehr denkbar ist, wenn solche Verfahren zehn und mehr Jahre dauern.

Wie schätzen Sie die Chancen jetzt ein, wo das Verfahren praktisch von vorne beginnt?

1985 hat das Verwaltungsgericht die Einlagerung von Brennelementen gestoppt. Mein Kollege Piontek und ich fühlen uns seitdem in unseren Argumenten noch bestärkt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Verfahren eine Stellungnahme abgegeben, die unserer Auffassung sehr nahe kommt. Zum anderen sind unsere Befürchtungen zum Gefährdungspotential des Lagers durch die jüngsten Vorgänge weitgehend bestätigt worden, so daß wir die Chancen, den Betriebsstopp aufrecht erhalten zu können, als noch günstiger einschätzen als damals.

Die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) hat als Genehmigungsbehörde den Sofortvollzug der Betriebsgenehmigung beantragt.

Ich habe Zweifel, ob die PTB nach diesem Beschluß des BVG, der alle Fragen offen läßt, darauf beharrt. Sonst werden die Verwaltungsgerichte in Lüneburg wieder darüber entscheiden müssen. Und da bin ich sehr zuversichtlich über das Ergebnis.

Wenn Ihre Zuversicht sich bestätigt, hat das Konsequenzen für den Betrieb der Atomkraftwerke?

Eine gesicherte Entsorgung ist dann immer weniger nachzuweisen, weil die Mengen an abgebranntem Inventar immer größer werden. Wir gehen jedenfalls davon aus, daß die Lager in Ahaus und Gorleben auch weiterhin nicht betrieben werden können. Interview: Gerd Rosenkranz

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