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INTERVIEW"Bremen wählt sozialliberal - FDP"

■ Nach der Bundestagswahl: Wie sieht der Fraktionsvorsitzende die neue Rolle der FDP in Bremen?

Die FDP ist in Bremen jetzt drittstärkste Kraft — was macht sie mit diesem Ergebnis?

Claus Jäger: Sie fühlt sich bestätigt.

Mehr nicht?

Wir haben diesen Wahlsieg auch genossen. Wir haben 55.000 Stimmen bekommen, das ist ein Spitzenergebnis. Vor vier Jahren ist Manfred Richter mit 37.000 Stimmen in den Bundestag gewählt worden. Was viel wichtiger noch ist: Vor vier Jahren haben wir fast nur ein Stimmensplitting „Erststimme CDU, Zweitstimme FDP“ gehabt. Jetzt haben wir bei den Zweitstimmen ein Prozent von den CDU-Wählern, ein Prozent von den Grün- Wählern und zwei Prozent von der SPD bekommen. Das bedeutet: Wir haben bei der Wahl 1990 wieder die Situation der 70er Jahre, Bremen wählt überwiegend in dem sozialliberalen Umfeld FDP. So haben wir 1975 fast die SPD-Mehrheit geknackt. Das ist das eigentliche Signal für die Bürgerschaftswahl.

Haben Sie Lust, mitzuregieren?

Jäger: Lust — ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist. Wir wollen die politischen Verhältnisse in Bremen ändern. Die absolute Mehrheit der SPD — das ist die lähmende Belastung für diese Stadt. Die muß weg, damit Bremen wieder atmen kann, damit wieder Politiik möglich ist. Und dann gibt es theoretisch mehrere Möglichkeiten, eine ist eine Koalition mit der FDP. Wenn die Inhalte stimmen..

Der Präsident des Senats würde mit einem Koalitionspartner FDP die Hoffnung verbinden, daß aus Bonn andere Signale kommen...

Da überschätze ich unsere Chancen nicht. Bremen kann sicher ohne Hilfe von Dritten nicht weiterleben ...

... Bonn ...

... ja, dieser Dritte ist aber auch die Gesamtheit der anderen Länder. Bremen muß die davon überzeugen, daß es richtig ist, Bremen zu helfen. Ich überzeuge Hern Späth nicht, wenn wir in Bremen den Bürgern Leistungen bieten, die die Baden-Württemberger ihren Bürgern nicht bieten. Das geht nicht. Das heißt: Vergleichsmaßstab der Leistungen dieses Landes für ihre Bürger muß das Mittel anderer Länder sein...

Was muß gekürzt werden?

Da darf es keine Tabus geben. Wir müssen die Relation Schüler-Lehrer prüfen, wie sieht es bei den Kindergärten aus, wie sieht es aus im Bereich der Sonderleistungen für Asylbewerber, für Behinderte, für alle. Und da, wo wir mehr tun als wir uns leisten können, muß das zurückgefahren werden.

Und das zweite, viel wichtigere ist: Bremen muß sich an die Spitze der Bewegung stellen, das Geld des Bürgers intelligent auszugeben. Worin liegt der Sinn, daß das frische Wasser von einer kapitalistischen Aktiengesellschaft zur Verfügung gestellt wird, und für das abgeführte Wasser ist eine Behörde zuständig? Die Einsparungspotentiale durch Privatisierung sind enorm. Erstens ist es transparenter und zweitens ist es billiger.

Das Spannungsfeld Ökonomie-Ökologie wird die Politik der nächsten 20 Jahre bestimmen...

Das ist richtig. Die Frage ist, welche Antwort gibt man darauf. Die Geldmittel, die eingesetzt werden, um die ökologische Situation zu verbessern, müssen verdient werden. Deshalb ist erfolgreiches Wirtschaften die Voraussetzung für ökologisches Handeln.

Was heißt das — z.B. mehr Gewerbeflächen?

Wir brauchen eine Gesamtbetrachtung. Es ist unsinnig zu sagen, das Niedervieland muß frei bleiben, die Bebauung findet dann in der Stuhrer Marsch statt. Oder das Hollerland muß freibleiben, stattdessen wird ins das St.-Jürgens-Land gebaut. Die Gesamtbelastung ist geringer, wenn eine Ansiedlung an einem integrierten Standort wie Bremen erfolgt, wo die Straßen schon da sind.

Will die FDP Bremen als Land erhalten?

Ich fühle mich als Bremer. Das betrachte ich als mein durch Geburt erworbenes Recht, daß ich Bürger einer Freien Hansestadt bin. In den USA gibt es sechs Staaten, die kleiner sind als Bremen. Aus der Sicht eines Bremer Bürgers sehe ich überhaupt kein Argument für einen Nordstaat, am Ende stünde für Bremen unausweichlich der Status von Brügge, Lübeck oder Braunschweig.

Argument ist die geringe Wirtschaftskraft.

Durch Änderung der staatlichen Zuordnung wird hier kein Deut mehr an Wirtschaftskraft erzeugt, es änderte sich gar nichts — nur würden die Schulden statistisch auf mehr Köpfe verteilt. Als Teil eines Gesamtstaates kriegen wir bestimmte Unterstützungen des Bundes nicht, der Norden hätte weniger Stimmen im Bundesrat, weniger Mittel, insgesamt weniger. Deshalb muß man offensiv sagen: Ein selbständiger Stadtstaat ist von seinen Voraussetzungen her in der Lage ist, unerhört flexibel zu reagieren, sich Herausforderungen zu stellen. Auch die Gesamtheit der Bundesrepublik hätte keinen Vorteil, wenn hier eine Regierungsbezirksebene bestimmt.

Warum nutzt die SPD-Regierungspolitik diese Chancen nicht?

Weil sie inhaltlich verbraucht ist. Fragen: K.W.

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