INTERVIEW: „Eine praktikable Alternative gab es nicht“
■ Ingrid Matthäus-Maier, finanzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Befürworterin der deutsch-deutschen Währungsunion, zu den Einschätzungen und Vorwürfen von Bundesbankchef Pöhl
taz: Frau Matthäus-Maier, Sie haben sich immer für eine schnelle Einführung der Währungsunion ausgesprochen. Bundesbankchef Pöhl spricht jetzt von „verheerenden Auswirkungen“, die voraussehbar gewesen seien. Sie lagen offenbar vollkommen falsch...
Ingrid Matthäus-Maier: Ich glaube, daß Bundesbankpräsident Pöhl unglaubwürdig ist, wenn er das sagt. Er hat noch am 4.7.1990 in einem Interview wörtlich gesagt, daß die Wirtschafts- und Währungsunion „im gleichen Maß unvermeidlich, notwendig und wünschenswert war“. Selbstverständlich wäre auch mir eine langsame Gangart lieber gewesen. Aber es war schnell klar, daß es die ökonomisch theoretische Alternative in der politischen Praxis nicht gab. Die damalige DDR konnte praktisch binnen Stundenfrist einen Beschluß nach Art. 23 herbeiführen und der alten BRD beitreten.
Bei der schnellen Einführung der DM war doch völlig klar, daß am nächsten Tag kein Mensch mehr einen Trabi kaufen würde...
Den Trabi gegen alle ökonomische Vernunft weiter zu produzieren, macht auch keinen Sinn. Wenn Sie meine Reden von damals nachlesen, werden Sie finden, daß ich erhebliche ökonomische Schwierigkeiten vorausgesagt habe. Ich habe die Wirtschafts- und Währungsunion, die überhaupt nicht zu vermeiden war, mit der Operation eines Schwerstkranken verglichen, der in hohem Maße auf Bluttransfusionen angewiesen sei. Das ist der Kern — die mangelnde wirtschaftspolitische Begleitung und Unterstützung. Die Regierung hat schlimme Versäumnisse zu verantworten, weil sie geglaubt hat, wenn der Markt und die Mark komme, werde sich alles regeln.
Wer eins und eins zusammenzählen konnte, hätte den Zusammenbruch des gesamten DDR- Absatzes bei Einführung der DM voraussehen müssen, das haben auch Sie nicht erkannt...
Entschuldigen Sie mal, damals galt ein Wechselkurs von eins zu drei, der Zustand war doch, daß die sogenannten Wessis mit DM in der Tasche in den Osten fuhren und zum Beispiel sämtliche Gaststätten in der DDR belegt hielten und den Ossis die hochsubventionierten Produkte wegschnappten. Ich darf Sie daran erinnern, daß die damalige DDR-Regierung aus der Not heraus sich sogar gezwungen sah, die Paßpflicht für Geschäfte einzuführen. Ein Weg des Nebeneinanders von zwei Währungen war in dieser Situation absolut unmöglich. Bei der Ausgestaltung dieses Weges hat die Regierung total versagt. Man hätte die Eigentumsfrage nach der Devise Entschädigung vor Enteignung regeln und einen massiven Kapitaltransfer zum Aufbau von Infrastrukturmaßnahmen in Gang setzen müssen. Steuerliche Investitionsanreize sind ein weiteres Stichwort.
Das sind alles Maßnahmen, mit denen man strukturschwache Regionen, z. B. Montanregionen auf die Beine helfen kann. Aber wenn die ökonomische Basis einer ganzen Nation zur Disposition steht, reichen solche Hilfen niemals hin. Alles andere, als die beiden völlig unterschiedlich entwickelten Ökonomien ungeschützt zusammenzubringen, wäre besser gewesen.
Dann müssen Sie bitte Ihre Kritik an die Mütter und Väter des Grundgesetzes weiterreichen, die im Art. 23 die sofortige Beitrittsmöglichkeit festgeschrieben haben. Die damalige ostdeutsche Regierung wollte diesen Beitritt schon am 17.Juni. Auch die Menschen wollten ihn schnell.
Bei schnellem Beitritt war doch die ökonomische Katastrophe unvermeidlich...
Die wesentlichen Probleme sind natürlich durch die 40jährige SED-Kommandowirtschaft entstanden. Sie war unvermeidbar, aber durch die Politik der Bundesregierung ist die Krise dramatisch verschärft worden.
Prof. Biedenkopf hat kürzlich darauf hingewiesen, daß man mit westlichem Lohnniveau, das ja im Osten 1993 erreicht sein soll, keine östliche Erwerbsquote von 97 Prozent erreichen kann, sondern höchstens die Westquote von 67 Prozent. Zwei Millionen Menschen können also ihre Hoffnungen selbst bei günstigsten Rahmenbedingungen auf ewig abschreiben. Das sind schon mal 25 Prozent Arbeitslosigkeit.
An solchen Zahlenspielereien will ich mich nicht beteiligen. Das Streitgespräch führte Walter Jakobs
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