INTERVIEW: „Jugoslawien ist zerfallen“
■ Milan Kucan, Präsident Sloweniens, hält am Austritt seiner Republik aus Jugoslawien fest und möchte einen neuen Staatenbund nach dem Vorbild der EG
Milan Kucan ist seit Frühjahr 1990 direkt gewählter Präsident der Republik Slowenien. Der 1941 geborene Kommunist leitete — gestützt auf den Reformflügel der Kommunistischen Partei — 1986 erste Reformen zur Demokratisierung des Landes ein. Es war der Beginn des „slowenischen Frühlings“. Seine Politik stieß auf den Widerstand der konservativen Führung der anderen Republiken Jugoslawiens und vor allem auch durch die Armee. 1988 wurde ein Putsch der Armee in Slowenien knapp verhindert.
taz: Herr Kucan, Sie gelten als der Architekt des „slowenischen Frühlings“ ...
Milan Kucan: Der geht aber jetzt zu Ende ...
Kommt der heiße Sommer der Wirtschaftsreform?
Leider wird der weiter aufgeschoben werden müssen, weil immer noch die politischen Fragen im Vordergrund stehen. Und das kann sich noch sehr, sehr rächen. Das ist ein Problem aller osteuropäischen Staaten, aber bei uns gibt es dafür eigentlich keine richtige Rechtfertigung mehr — außer jener, daß es viel leichter ist, reine Politik zu betreiben, als sich mit der Wirtschaft zu beschäftigen.
Am Donnerstag treffen Sie sich mit den Präsidenten der übrigen jugoslawischen Republiken in der dalmatischen Hafenstadt Split. Da geht es auch wieder nur um Politik. Immerhin scheint sich ja nach dem Treffen zwischen den Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Milosević und Tudjman, eine Entspannung zwischen den beiden Republiken anzudeuten. Mit welcher Verhandlungsstrategie gehen Sie dorthin?
Unser Interesse ist unverändert. In erster Linie geht es uns um die friedliche Durchsetzung eines eigenen, souveränen Staates. Wir wollen dabei aber die Interessen der anderen Republiken nicht beeinträchtigen. Unser Ziel ist, Einvernehmen über die Rechte und Pflichten herzustellen, die sich aus unserer gemeinsamen 70jährigen Geschichte ergeben. Dazu gehören auch internationale Verpflichtungen des Staates. Die Rechtsnachfolge der Sozialistischen Republik Jugoslawien muß geregelt werden. Es geht auch um die Anerkennung der heutigen Grenzen der Republiken sowie um die Frage des Schicksals der gemeinsamen Institutionen und der Armee. Wir möchten Jugoslawien nicht verlassen wie jemand, der das gemeinsame Haus in Brand gesteckt hat.
Aber Sie halten weiterhin an einem Ausstieg Sloweniens aus dem jugoslawischen Staatsverband unter allen Umständen fest?
Dieser Entschluß ist definitiv. Wir sind der Meinung, daß der jugoslawische Staat schon zerfallen ist, ein Staat, der von der Armee als einzigem Integrationsfaktor aufrechterhalten würde, wäre kein stabiler Staat. Auch ein Staat, der nur den Interessen eines einzigen (gemeint ist Serbien, A.d.R.) folgen würde, könnte kein stabiler Staat sein. Das soll aber nicht bedeuten, daß wir nicht gleichzeitig nach neuen realen Grundlagen für eine neue Gemeinschaft der jugoslawischen Republiken suchen sollten. Wir stellen uns vor, daß Grundlagen geschaffen werden, die eine neue Gemeinschaft der jugoslawischen Republiken nach dem Muster der Europäischen Gemeinschaft begründen.
Demnach streben Sie als Kompromiß eine EG im Kleinen an. Wie kann denn das praktisch aussehen?
Für eine solche Gemeinschaft ist ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen Voraussetzung, und das ist zur Zeit nicht gegeben. Als erstes Problem sei das Fehlen einer echten Marktwirtschaft in allen Republiken genannt. Wir sind augenblicklich in einer äußerst schmerzhaften Phase des Übergangs zur Marktwirtschaft. Auch die Europäische Gemeinschaft hat erst nach über 30 Jahren zu einer politischen Integration gefunden. In ähnlicher Weise könnten später auch die Republiken Jugoslawiens Teile ihrer politischen Zuständigkeiten wieder an gemeinsame Gremien abtreten. Voraussetzung ist aber, daß dieser Prozeß eine reale Interessensgleichheit widerspiegelt. Wir wollen ideologisch bestimmte gemeinsame Institutionen nicht mehr hinnehmen.
Sie kommen ja gerade aus Bonn zurück. Dabei ging es doch sicher auch um diese Frage.
Bonn hat eine Schlüsselbedeutung in der EG, auch was die Bewältigung der jugoslawischen Krise betrifft. Ich habe in Bonn betont, daß der Standpunkt der EG sich bisher als Hemmnis für die demokratischen Prozesse in Jugoslawien herausgestellt hat. Es wurden nämlich in letzter Konsequenz doch nur diejenigen Kräfte unterstützt, die an der Misere schuld sind und Jugoslawien aufgrund des alten ideologischen Modells beibehalten möchten. Meine Aufgabe in Bonn war es, klar zu machen, daß der politische Prozeß in Jugoslawien zunächst ein Desintegrationsprozeß sein muß.
Sie haben vorher das Problem des Militärs angesprochen. Was soll aus den titoistischen Generälen werden?
Die jugolslawische Armee ist als ideologische und politische Armee entstanden. Sie hat bei der Befreiung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg eine sehr wichtige Rolle gespielt und auch später die jugoslawischen Grenzen gesichert, so auch die slowenische (zu Italien, A.d.R.). Während der ganzen Zeit des Kalten Krieges schützte sie Jugoslawien auch gegenüber der Sowjetunion, denken Sie an Ungarn 1956, all dies hat ihr große Autorität eingebracht. Aber in einer demokratischen Gesellschaft ist heute kein Platz mehr für eine politische Armee. Noch hat sie ein eigenes Konzept für die Ordnung des Staates und sie hat auch die Macht, dieses Konzept der Gesellschaft aufzuzwingen. Wenn aber die Armee das alte ideologische Modell verteidigt, verteidigt sie auch ihre eigene materielle Position. Um dem entgegenzuwirken, müssen auch die Angehörigen der Armee die Gelegenheit erhalten, sich in die demokratische Gesellschaft zu integrieren. Das Problem des sozialen Status muß gelöst werden. Die Erklärung des Generalstabs in der letzten Woche, sich nicht in die Gesellschaft einzumischen, ist positiv zu bewerten. Es ist aber dahingestellt, ob sie wirklich so gemeint war, aber die Politik muß die Ernsthaftigkeit dieser Aussage voraussetzen.
Hat in der Armee selbst ein Diskussionsprozeß begonnen?
Auch die Armee ist nicht unberührt von der Diskussion in der Gesellschaft. Es gibt wie überall auch dort kluge Köpfe. Ich frage mich allerdings, ob es klug wäre, der Armee die Gelegenheit zu geben, eine neue Position auszuformulieren. Wir müssen unseren Standpunkt mit politischen Mitteln durchsetzen. Es wäre nämlich unklug, die slowenischen Offiziere in diese Auseinandersetzung mit hinein zu ziehen.
Halten Sie an der Option, eine eigene slowenische Armee aufzubauen, fest?
Diese Frage hat bei uns eine große Polemik ausgelöst. Soll Slowenien ein demilitarisierter Staat werden oder eine eigene Armee haben? Bis ein europäisches Sicherheitskonzept verwirklicht ist, muß Slowenien über eine eigene Verteidigungsstruktur nachdenken. Natürlich besteht die Gefahr, daß diese slowenische Armee ihr eigenes Leben führt und es später schwer fällt, sie wieder abzubauen.
1988 gab es eine reale Putschgefahr. Sie haben damals ein Telefongespräch mit einem Militär geführt, das in der Presse, auch in der taz, veröffentlicht wurde. Damit wurde der Putsch abgewendet. Welche Rolle spielten Sie damals?
(lacht) Große geschichtliche Verdienste habe ich nicht. Es ist aber wahr, daß die Spannung damals sehr groß gewesen ist. Es gab damals — wie auch wieder jüngst — und gibt die Gefahr eines Militärputsches aus den Gründen, die ich vorhin ausführte. Der Armee würde es sehr zupaß kommen, wenn der Ausnahmezustand formell erklärt würde, dann hätte sie die Generalvollmacht, den Zeitpunkt und die Mittel zu bestimmen, ihre Ziele zu realisieren. Natürlich war und bin ich immer noch in diesen Konflikt mit der Armee hineingezogen — und das in einer Weise, wie sie der Armee nicht gefällt.
Erich Rathfelder, Ljubljana
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