piwik no script img

INTERVIEW»Die roten Fahnen habe ich immer wehen lassen!«

■ Für das sommerliche Stadtjubiläum hat sich die Gemeinde Oranienburg einen Profi in Sachen Festumzug geholt

Seit 30 Jahren organisiert der Bühnenbildner Eberhard Bleichert, 71, Festumzüge für städtische Jubelfeiern und Parteiaufmärsche. Auch jetzt nach seiner Pensionierung sitzt er wieder über seinen mit Bleistift gemalten Regiebüchern: Wie auf einem Notenblatt reiht er für das 775ste Stadtjubiläum von Oranienburg fein säuberlich jeden einzelnen Siedlerzug aus dem Mittelalter neben den fahnenschwingenden KPDler. Sein ursprüngliches Konzept allerdings hat er über den Haufen geworfen. Seit seiner Einstellung im Herbst 1989 und heute hat sich in bezug auf Straßenumzüge einiges geändert. Die taz wollte wissen, wie er sich früher zwischen Rotarmistenparaden und künstlerischem Anspruch bewegt hat.

taz: Eigentlich sind Sie doch Bühnenbildner. Wie kommt ein Bühnenbildner dazu, Festumzüge zu gestalten?

Eberhard Bleichert: Es war reiner Zufall. Als ich vom Deutschen Theater 1953 nach Senftenberg ging, um das dortige Theater mit aufzubauen, war dort nichts, was wie ein Theater aussah. Wir haben uns um die Innenaustattung des Theaters kümmern müssen, um die Bestuhlung, überhaupt um eine Rückwand für die Bühnenbilder. Dann wollte die Stadt Senftenberg eine — ich glaube — 700-Jahr- Feier machen. Und sie brauchten also Kostüme und wo kriegt man die? Natürlich im Theater. Ich bin dann mit dem Lehrer, der fürs Geschichtliche abkommandiert worden ist, schnell zusammengekommen und wir haben den Festzug mit vielen Kostümen und hehren politischen Zielen gemacht.

Und es hat sich dann herumgesprochen, daß Sie ein Faible für Geschichte haben?

Jaja, ich weiß gar nicht mehr im einzelen wie. Auf jeden Fall entwickelte sich die Sache auch durch meine Verbindung zum Deutschen Theater weiter. Ich habe dann auch Großveranstaltungen gemacht, zu denen ja auch immer das Theater herangezogen wurde. Zum Beispiel den 75. Geburtstag von Wilhem Pieck in der Seelenbinderhalle, mit 3.500 Mitwirkenden, mit Bühnenbild und Kostümen. Oder das Bühnenbild für die Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1953 in Bukarest und die Auftritte sämtlicher DDR-Gruppen. Nebenbei ist da was Unglaubliches passiert: Für das Nationalprogramm hatten wir einen riesigen Wilhem-Pieck-Kopf aus den Werkstätten der Komischen Oper und da wurde uns ein paar Tage vor Beginn erzählt, daß in unserer Gruppe auch ein westdeutsches Team sein wird und wir als gemeinsame Gruppe auftreten. Und da konnten wir ja nicht alle zusammen unter Pieck auftreten. Also runter mit dem Kopp und ran mit der Picasso'schen Friedenstaube.

Die Partei hat Ihnen immer ordentlich in ihr Konzept hineinregiert. Die Faustregel hieß: Ein Drittel Stadtgeschichte, Arbeiterbewegung, Partei und DDR. Wo blieb einem da noch Luft für die eigene Phantasie?

Also bestimmt wurde, was auf den Wagen geschrieben stand, die sich mit der Partei beschäftigten. Die Sprüche hat dann die SED-Kreisleitung abgenommen. Aber es ging natürlich auch weiter, wieviele rote Fahnen wo wehen mußten und solche Kinkerlitzchen. Oder bei der Geschichte der KPD die jeweils lokalen Gegebenheiten. Da sind mir Dinger passiert: Es wurde vom Kapp-Putsch gesprochen und ich mußte dann in dem Text schreiben, daß die Initiative zum Kapp-Putsch von der KPD des Ortes XY ausgegangen war. Da gabs aber zu dem Zeitpunkt gar keine KPD. So sind sie also vergewaltigt worden...

Sie haben die Umzüge immer freiberuflich...

Nebenberuflich gegen Bezahlung selbstredend und nicht für die Partei, sondern eben für festliche Anlässe. In Oranienburg arbeite ich seit Oktober 1989 und habe noch keinen Pfennig bekommen. Aber ich habe ja meine Rente, und außerdem — ich muß arbeiten, mit Menschen zusammen sein. Zu Ostern habe ich meine ganze Sippe verfrachtet und meine Festwagenmodelle gebaut.

Standen Sie jemals vor dem Konflikt: Liefere ich nicht die Staffage für etwas, was mehr als schief ist? Was war Ihr Beweggrund?

Na, sagen wir, einfach nur mitzuschwimmen. Und dann die Tatsache, daß in meinen Augen ja auch vieles stimmte. Natürlich nicht in dieser Lobhudelei. Aber für den Wagen Neubrandenburg zur 750-Jahr-Feier Berlins habe ich dann schon Überlegungen gehabt wie: Honecker sieht gerne Pferde, also lasse ich Pferde vorlaufen. Das sind die Kompromisse, aber sicherlich habe ich mit der Zeit mehr den künstlerischen Aspekt, die Freiräume — also bei dem Drittel Geschichte — gesehen. Und aufgebaut haben einen immer wieder wunderbare Pannen. Ich erinnere mich, da mußte der Rotfrontkämpferbund gezeigt werden. Ich hatte 60 Kostüme bekommen, dafür waren Gelder da. Aber der Partei habe ich gesagt, daß sie die Leute besorgen sollte. Was geschah? Kümmerliche 6 Rotfrontkämpfer kamen zusammen. Da habe ich nur mit den Achseln gezuckt und sie so marschieren lassen.

Hat sich in den letzten Jahren vor 1989 etwas geändert? Hat die Partei nicht nervöser auf Geschichtsumzüge reagiert?

Ich habe eher das Gegenteil gemerkt, daß der Rat der Stadt zum Beispiel auf mich zu kam und sagte: Du machst doch nicht nur Mecklenburger Fahnen? Da kam doch schon der Trend auf. Aber die roten Fahnen habe ich trotzdem immer wehen lassen. Interview: Nana Brink

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen