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INTERVIEW„Wir wollen keine Vertriebenen sein“

■ Abubekir Saydam, Vorsitzender der Exilorganisation Komkar, über humanitäre Aktionen

taz: Haben die zahlreichen humanitären und medizinischen Hilfsaktionen, die jetzt u.a. in den Ländern der EG gestartet werden, überhaupt einen Sinn oder sind sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Abubekir Saydam: Wir brauchen diese Hilfe, in erster Linie direkte Hilfe, also Grundnahrungsmittel und medizinische Hilfe, zur Behandlung der von den Napalm- und Phosphorbomben verwundeten Menschen. Anfang nächster Woche wird eine Abordnung von Medico International in die Krisenregion fliegen. Medico schickt sogenannte „Health Kits“ nach Kurdistan, die — je nach Größe — medizinische Geräte enthalten, mit denen man dringend notwendige Operationen vor Ort durchführen kann. Unser Ziel ist es, in der Region bleibende Strukturen der medizinischen Versorgung aufzubauen. Zu diesem Zweck arbeiten wir eng mit Medico zusammen, denn deren Hilfe kommt auch tatsächlich an — wie sich seit dem Giftgasmassaker von Halabja 1988 gezeigt hat — und verschwindet nicht in dunkle Kanäle.

Drei Viertel der kurdischen Bevölkerung des Iraks befinden sich derzeit auf der Flucht. Trotzdem dauert der Kampf an. Wie schätzen Sie die Situation der kämpfenden Opposition im Irak ein?

Die kurdischen Kämpfer haben der irakischen Armee starke Verluste zugefügt. Sie leben seit eh und je in den Bergen, kennen sich dort aus und beherrschen die Guerilla-Taktik. Auch wenn es zynisch klingt: Jetzt, wo der „Ballast“ der Zivilbevölkerung weggefallen ist, können die Peschmerga kämpfen, ohne daß sie Rücksicht auf eine Zivilbevölkerung nehmen müssen.

Tausende Flüchtlinge befinden sich in der Türkei oder an der Grenze zur Türkei. Wie verhält sich die türkische Armee?

Die türkische Armee steht sozusagen „Gewehr bei Fuß“. Nach Augenzeugenberichten wurden mehrere hundert Menschen erschossen. Turgut Özal nutzt die Situation offenbar bewußt aus, um die Militärpräsenz in Kurdistan zu verstärken. Ganze Dörfer wurden von Armee-Einheiten zerstört, um Dorfschützer dazu zu bringen, wieder mit der Regierung zusammenzuarbeiten.

Seit dem 8. April befinden sich ca. 50 Kurden vor der UN-Vertretung in Bonn in einem unbefristeten Hungerstreik. Was wollen Sie mit dieser Aktion erreichen?

Daß der Bundestag sich in einer Sondersitzung mit der Kurdenfrage beschäftigt und daß die materielle Hilfe für Kurdistan verstärkt wird. Die EG und die UN-Gremien sollen aktiver werden. Dieser Hungerstreik wird fortgesetzt, bis wir unsere Ziele erreicht haben. In Westeuropa leben immerhin 700.000 Kurden, die jetzt mit Wut und Verzweiflung auf die Situation reagieren. Auch wenn dort also ein Völkermord verübt wird, werden hier immer noch genügend Kurden übrigbleiben, um die Völkergemeinschaft zur Verantwortung zu ziehen.

Wie stellen Sie sich eine Lösung des Kurdenproblems vor?

Ich plädiere für eine UN-Friedenstruppe im Irak. Die geflüchteten Kurden sollten unter UN-Aufsicht wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Sollte das Völkerrecht nicht greifen, müßte die UNO härter durchgreifen. Die UNO sollte unter Beteiligung der Kurden Lösungsmöglichkeiten in Betracht ziehen, die auch der turkmenischen und assyrischen Bevölkerung gerecht werden. Eine Sicherheitszone lehne ich ab; sie würde nurmehr neue Krisen auslösen. Die Lösung der Kurdenfrage sollte den dort lebenden Menschen überlassen werden. Der Westen sollte überlegen, ob er einen Diktator in der Region akzeptiert, lediglich um die eigenen Interessen zu wahren, oder ob er den dort lebenden Kurden eine Demokratie entsprechend ihrer eigenen Kultur zugesteht.

Verschiedene Landesregierungen in der BRD haben einen Abschiebestopp für kurdische Asylbewerber beschlossen. Wie soll sich Ihrer Ansicht nach die Bundesregierung angesichts eines zu erwartenden Flüchtlingsstroms verhalten?

Es sollten keine größeren Kontingente aufgenommen werden. Wir wollen keine Vertriebenen sein. Wir fordern u.a. die Bundesregierung dazu auf, diejenigen aufzunehmen, die bei den Angriffen der irakischen Armee durch Napalm- und Phosphorbomben schwer verletzt worden sind, denn die medizinischen Verhältnisse im Irak sind nicht geeignet, diese Opfer zu behandeln. Es betrifft ca. 10.000 bis 15.000 Menschen, die bis zu ihrer vollständigen Genesung in diversen Aufnahmeländern bleiben sollten — und bis in Kurdistan wieder Verhältnisse herrschen, die eine Rückkehr in die Heimat ermöglichen. Interview: Kai Horstmeier

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