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INTERVIEWDie Schere ist noch im Kopf

■ Rudolf Herbert (38), Kulturredakteur der deutschen Zeitung 'Neuer Weg‘ und Mitglied des „Demokratischen Forums der Deutschen“ in Rumänien, zu Gründen für Bleiben oder Ausreisen

taz: Noch leben knapp 100.000 Deutsche in Rumänien. Es erscheinen zwei deutsche Tageszeitungen, der 'Neue Weg‘ mit 10.000 Exemplaren in Bukarest und die 'Neue Banater Zeitung‘, mit einer Auflage von 6.500 Exemplaren, in Temeswar. Außerdem gibt es noch die Wochenzeitungen 'Karpaten Rundschau‘ in Kronstadt und die 'Hermannstädter Zeitung‘. Zehntausende Deutsche wollen abwandern. Wie geht es weiter mit dem deutschen Kulturbetrieb in Rumänien?

Rudolf Herbert: Die rumäniendeutsche Presse ist sicherlich in der Krise. Und die bezieht sich nicht nur auf die sinkenden Auflagen. Es ist auch ein inhaltliches Problem. Die verbliebenen Kräfte müßten sich konzentrieren, die Zeitungen fusionieren. Wir haben wenig Redakteure, und es gibt auch so gut wie keine Chancen, die freien Stellen zu besetzen. Bei den anderen Zeitungen ist die Situation ähnlich. Mit den noch vorhandenen Journalisten wäre es durchaus möglich, eine neue Zeitung aufzuziehen, die vielleicht auch für die rumänischen Leser interessant wäre. Die rumänischen Zeitungen treiben vor allem Meinungsjournalismus.

Wie packt ihr das inhaltliche Problem an? Beim 'Neuen Weg‘ sitzen doch noch viele alte Hofschranzen aus der Ceausescuzeit. Der Titel des Blattes stammt aus dem Gründungsjahr 1949. Hat es denn nach der Revolution keine Diskussionen in der Redaktion über diese „Erblast“ gegeben?

Natürlich. Es gab bei uns in der Redaktion heftige Diskussionen darüber, ob wir den Titel beibehalten sollen oder nicht. Es waren vor allem die älteren Redakteure, die meinten, daß die Zeitung sich nicht kompromittiert habe. Es gab junge Redakteure, einige davon sind inzwischen in der Bundesrepublik, die etwas ganz Neues wollten, eine andere Aufmachung, neue Inhalte. Leider waren die nicht die Mehrheit. Nach Ceausescus Sturz konnten wir endlich selber schreiben, berichten, über all das, was sich hier abspielt. Viele von uns mußten feststellen, daß dies gar nicht so einfach ist. Gewisse Denkmuster und bestimmte Formeln in der Sprache hatten sich einfach in den Köpfen festgesetzt. Und jeder hatte nun ganz persönlich gegen diese inneren Widersprüche anzukämpfen. Es ging darum, die in unseren Köpfen entstandene „Mauer“ niederzureißen.

Der 'Neue Weg‘ bezeichnet sich als Tageszeitung für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Wie steht es denn um die Unabhängigkeit in der Iliescu-Zeit?

Dieses Attribut haben sich viele Zeitungen im Untertitel beigefügt, obwohl das mit dieser Unabhängigkeit so eine Sache ist. Es ist eine Formsache. Der 'Neue Weg‘ müßte seine politische Linie klarstellen. Ich würde seine politische Linie als „frontfreundlich“ (gemeint ist die regierende „Front zur Nationalen Rettung“, Anm. d. Red.) bezeichnen. Das ist eine Linie, die mehr oder weniger auch das „Demokratische Forum der Deutschen“ aus Rumänien vertritt. Der 'Neue Weg‘ ist Teil eines Presseverlags, dem auch andere große Zeitungen, wie 'Adevarul‘ und 'Romania libera‘ angehören und deren Auflagen in den letzten Monaten stark gesunken sind. Von den Gewinnen, die diese Zeitungen immer noch abwerfen, wird der 'Neue Weg' mitfinanziert. Seitens der Regierung gibt es Zusicherungen, daß die rumäniendeutsche Presse insgesamt finanziell unterstützt wird. Die Regierung hat aber keineswegs versucht, Druck auszuüben oder gefordert, daß der 'Neue Weg‘ sich für diese Unterstützung „bedanken“ müsse.

Gibt es eine Zensur in Rumänien?

Als Redakteur dieser Zeitung, in der ich seit sechs Jahren tätig bin und hautnah erlebt habe, was Zensur wirklich bedeutet, muß ich sagen, daß wir — und ich denke, das trifft auch auf andere Zeitungen zu — keine Zensur mehr haben. Es gibt allerdings noch die „Schere im Kopf“, es gibt die Angst, danebenzutreten, es gibt die Angst, sich für das, was man schreibt und was dann auch gedruckt erscheint, verantworten zu müssen.

Was ist eigentlich das Demokratische Forum der Runäniendeutschen? Ist eine reine Interessenvertretung oder eine politische Gruppierung?

Es ist ein Interessenverband der Rumäniendeutschen. Im Parlament haben wir einen Abgeordneten, Ingmar Brandsch, der in der Abgeordnetenkammer zugleich auch in einer Kommission für Minderheiten- und Menschenrechte tätig ist. Ob dieses Forum nun repräsentativ ist oder nicht, ist unklar. Der Umsturz, der Bruch, der sich im Dezember 1989 vollzogen hat, war für die Rumäniendeutschen nach einer kurzen Periode des Aufatmens und auch der Hoffnung auf einen Neubeginn dann doch insofern eine Enttäuschung, als man sehr bald feststellen mußte, daß die meisten Deutschen sich zum Verlassen dieses Landes entschlossen hatten. Vor allem engagierte Intellektuelle haben den Standpunkt vertreten, daß man diese kleine Gemeinschaft zwar nicht neu aufbauen kann, aber versuchen muß, sie wieder zu einer Gemeinschaft werden zu lassen, versuchen muß, einen wirklich neuen Weg zu finden.

Die Auswanderungswelle scheint gegenwärtig zum Stillstand gekommen zu sein, manche rechnen sogar mit einer relativen Stabilisierung. Ich glaube aber, sie wird anhalten. Die gegenwärtig verschärften Aufnahmeverfahren in der Bundesrepublik lösen das Problem nicht. Und die nicht eingelösten Versprechungen der Regierung, zum Beispiel was die Rückgabe des Eigentums betrifft, tun ihr übriges.

Gibt es zwischen den Deutschen und anderen Nationalitäten ethnische Spannungen?

Meines Wissens gibt es keine Differenzen zwischen den Deutschen und der rumänischen Mehrheitsbevölkerung. Wer für die Schändungen der deutschen Friedhöfe in Siebenbürgen verantwortlich ist, konnte noch nicht aufgeklärt werden. Ioan Cioaba, der Bullibascha der rumänischen Roma, behauptete vor einiger Zeit in einem Fernsehinterview, daß im Neppendorf bei Hermannstadt, Rumänen sich mit den dort ansässigen Deutschen zusammengetan hätten, um gemeinsam gegen die Roma vorzugehen. Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht. Ich hoffe, es stimmt nicht. Ich traue manchen deutschen Landsleuten allerdings eine gewisse Ablehnung den Zigeunern gegenüber zu. Ich hoffe, wir entscheiden uns für die Demokratie, für Toleranz und nicht für den Nationalismus. Die schwierige wirtschaftliche Lage hat sicherlich zu dem Anwachsen des Nationalismus in Rumänien beigetragen. Aber es ist auch eine Tatsache, daß die Regierungspartei, die Front zur Nationalen Rettung, zum Problem des Nationalismus noch keine Stellung bezogen hat, und das ist ein entscheidender Fehler. Darin zeigt sich ein falsches Verständnis von Demokratie und Freiheit. Kulturminister Andrei Plesu nannte es das „Chaos in den kleinen Dingen“, dieser Wirrwarr, diese Begriffsverwirrung, das Nichtvorhandensein einer demokratischen Werteskala.

Wie steht es um die rumäniendeutsche, die sogenannte fünfte Literatur deutscher Zunge. Ist die tot?

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man sagen kann, die rumäniendeutsche Literatur sei gestorben. Wir hatten den Kontakt mit den Autoren, die Rumänien in der Ceausescuzeit verlassen hatten, verloren. Ein möglicher Neuanfang wäre auch der, die alten Verbindungen wieder anzuknüpfen, diese Autoren aufzufordern, in den Publikationen, wie der Zeitschrift des Schriftstellerverbandes, der 'Neuen Literatur‘, zu veröffentlichen. Andererseits müßte endlich offen über die Vergangenheit gesprochen werden. Ich habe große Befürchtungen, daß sich in dieser Richtung sehr wenig bewegt.

Interview: William Totok

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