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INTERVIEW„Der Versprechungen müde“

■ Der ehemalige Außenminister und Gorbatschow-Vertraute Eduard Schewardnadse über das Antikrisenprogramm der Regierung von Ministerpräsident Pawlow

Frage: Herr Schewardnadse, wie beurteilen Sie die von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise der UdSSR?

Eduard Schewardnadse: Ich habe mich mit dem Antikrisenprogramm der sowjetischen Regierung vertraut gemacht. Es gibt darin zweifellos vernünftige Momente, aber es wird kaum gelingen, auf dieser Grundlage die mittlerweile im Lande entstandene Situation zu verändern. Wir brauchen entschlossene Maßnahmen, um wenigstens irgendeinen greifbaren Fortschritt in Richtung einer elementaren Stabilisierung zu erreichen. Die Regierung aber ist weiterhin sehr zögerlich, und die Menschen werden der nicht eingehaltenen Versprechungen müde.

Wann begann Ihrer Meinung nach die Stagnation der Perestroika?

Das Zurückbleiben begann, so scheint mir rückblickend, im Jahr 1986. Wir sprachen schon damals über die Notwendigkeit der Einführung der Marktwirtschaft. Auf jeden Fall begriff eine bestimmte Gruppe in der Führung die Notwendigkeit einer Preisreform; kein Staat kann bei solchen Subventionen überleben. Man berief sich darauf, daß das Volk an die Perestroika glaube und solch einschneidende Maßnahmen negativ aufgenommen würden. Dazu hätte man aber damals übergehen sollen, als der Vertrauenskredit der Regierung noch groß war. Das selbe gilt für die nationale Frage. Der richtige Zeitpunkt für den Unionsvertrag wurde eindeutig verpaßt; vor drei Jahren wäre er unter Beifallsbekundungen aufgenommen worden. Damals, im Vorfeld zu den Wahlen der Volksdeputierten der UdSSR, fanden meine Gespräche mit Gorbatschow über die Notwendigkeit der Präsidentschaft statt — die ja eine reale Macht sichert. Und tatsächlich war es damals so, daß das zweifellos Unterstützung gefunden hätte. Ich spreche nicht von der Schuld eines einzelnen, sondern vom Zurückbleiben der gesamten Führung, nicht zuletzt auf Druck des konservativen Flügels. Das hat sich bis heute so fortgesetzt. Wir wollen uns nicht auf die Entpolitisierung der Armee, der Machtorgane einlassen. Die ist aber unausweichlich. Die von den Parlamenten erhobenen Forderungen müssen am Ende erfüllt werden — wenn nicht heute, dann spätestens morgen.

Sie haben einmal bemerkt, einer der Fehlschlüsse der Perestroika bestehe darin, daß sie keine normal funktionierende Opposition geschaffen habe...

Ich sprach von einer konstruktiven Opposition und meinte damit nicht, daß es im Parlament keine formierte Opposition gibt. Sie macht sich ja trotzdem bemerkbar. Ich habe einmal den deutschen Außenminister Genscher gefragt, welche Parteien in seinem Ministerium vertreten sind. Er zuckte mit den Achseln und wandte sich umgehend an einen seiner Mitarbeiter mit der Frage, welcher Partei er angehöre. Es stellte sich heraus, daß er Sozialdemokrat war. Aber Genscher interessierte das überhaupt nicht. Ich meinte damals, man müsse die Formierung oppositioneller Strukturen parallel zur KPdSU unterstützen. Ich bin nicht dafür, die Partei aufzulösen. Man sollte aber die Bildung einer anderen, hinreichend soliden Partei unterstützen. Es sind jetzt viele Parteien entstanden, wahrscheinlich mehrere Hundert. Aber sie haben wenig Mitglieder, und unter ihnen gibt es nicht eine unionsweit organisierte. Es wird zusehends schwieriger, dies öffentlich zu thematisieren, weil wir nicht wissen, wieviel Zeit wir noch haben. Was wir in diesem Land dringendst brauchen, ist die Konsolidierung vernünftig und progressiv denkender Menschen. Interview: Jegor Jakowlew, Chefredakteur von 'Moscow News‘

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