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INTERVIEW„Derlei Niederlagen adeln in gewissem Sinne“

■ Antje Vollmer, ehemalige Abgeordnete der Grünen im Bundestag, über die Gründe ihrer Niederlage

taz: Ist Ihre Niederlage in Neumünster nicht auch eine persönliche Kränkung? Hat der Parteitag Sie abgelehnt, oder haben Sie sich möglicherweise die Ablehnung eingehandelt?

Antje Vollmer: Die Niederlage war eindeutig. Aber derlei Niederlagen haben Tradition bei den Grünen, sie adeln im gewissen Sinne. Ich erinnere an Niederliegen von Joseph Beuys, Otto Schily, Petra Kelly, Christa Nickels, um nur einige zu nennen.

Auch Realos haben Sie nicht gewählt. Warum?

Ich habe keinen Grund, nachträglich im Kaffeesatz zu lesen, sehe aber auch keinen Grund für Mißtrauen.

Aber es muß doch objektivierbare Gründe geben. Ihre Kandidatur war ja ein Signal, wonach es jetzt wirklich darauf ankommt? Warum ist dieses Signal ignoriert worden?

Dieser Grad an Selbstzerstörung erscheint mir wie ein Spuk, weil es die Grünen vor diesem Parteitag in der Hand hatten, der Öffentlichkeit — die ihnen ja gewogen war — eine verläßliche Veränderung anzubieten. Außerdem konnten sie an diesem Wochenende zur „dritten Kraft“ werden. Jedermann wußte, daß am Vorabend der Koalitionsverhandlungen in Rheinland-Pfalz die FDP in ihrer ganzen Schwäche dasteht, mit ihrer inhaltlichen Leere und den Problemen des Generationswechsels. Jetzt ist unser Reservoir an Symbolen, an denen man das deutlich machen kann, erschöpft.

Sie standen für eine Debatte, mit den Themen Bürgerrechtsbewegung der Ex-DDR, Demokratisierung, Ausbruch aus der Linksdefinition. Die Realos waren hingegen bereit, inhaltliche Konflikte auszuklammern, wenn nur die Kandidaten und die Strukturreform durchkämen. Haben nicht beide Ansätze ein Patt ergeben?

Man darf bei all dem nicht vergessen, daß wir so viele Stimmen hatten, beispielsweise bei der Strukturreform. Aber wer konnte mit so einem schizophrenen Verhalten rechnen: Das „Linke Forum NRW“ zum Beispiel hat auf Bundesebene genau das nicht getan, was es auf Landesebene als Parole ausgegeben hatte.

Wie kommt so etwas zustande?

Ich glaube, daß sich etwas rächte, was auf Grünen-Parteitagen immer honoriert wurde: Demagogie, Abschieben von Verantwortung.

Aber noch einmal: Standen sich nicht Aufbruch und Realos im Wege?

Die Realos haben gedacht, mit dem Konsens zum Papier — der Erklärung von Neumünster — könne man die Linken einbinden, die dann bei der Personenfrage hätten zurückstecken müssen. Nur: Das „Linke Forum“ hat genau dasselbe gedacht. Die Linken haben praktisch für eine Verhinderungswahl votiert, also nach meinem Rücktritt nicht einmal Kleinert gewählt. Mit anderen Worten: Die Realos haben auf eine Fairness gesetzt, die bei den Linken offensichtlich nicht vorhanden war.

Gibt es denn überhaupt eine artikulierte Position der Linken?

Das ist ja das Verrückte: Inhaltlich ist diese Position völlig ausgehöhlt. Eine Auseinandersetzung mit dem Ende des Sozialismus in Osteuropa findet nicht statt. Inhaltlich hat man sich aufgegeben, aber personell sichert man sich den Einfluß. Da haben die radikalen Linken, die ausgetreten sind, recht. Was geblieben ist, ist das Sich-Klammern an den grünen Parteiapparat.

Und die Bürgerrechtsbewegungen? Als was gelten sie? Als Gruppen, die die Grünen ins bürgerlich-liberale Lager schieben wollen?

Das ist das Spukhafte: Gewählt wurden diejenigen, die genau das nicht repräsentieren, was sie vorgeben zu repräsentieren. Frau Weiske hat gewonnen mit dem positiven Bezug auf die Bürgerbewegungen; sie steht aber in der Praxis für die Trennung von den Bürgerbewegungen. Und Ludger Volmer repräsentiert nicht das Grüne bei den Grünen.

Ist der Parteitag ein negatives Signal für den Osten?

Wir haben nicht gerade Vertrauen gewonnen.

Wird der Austritt der Fundamentalisten befreiend wirken?

Der ist ja schon vorab angekündigt worden und wirkte nicht sehr befreiend. Sie können im Grunde nicht mehr dahinter zurück. Allerdings hat Jutta Ditfurth gesagt, es gebe drei Gründe für den Austritt: Vollmer, Kleinert, Wollenberger. Vielleicht überlegt sie es sich jetzt noch einmal? Nicht für ausgeschlossen halte ich auch, daß einige, die zur PDS übertraten, wieder zurückkommen.

Kann dieser Parteitag wenigstens eine positive Schockwirkung haben?

Ich habe jetzt meine Rolle als permanente Hoffnungserzeugerin abgegeben. Gewiß, es hat einen Fortschritt in der Strukturreform gegeben. Aber ob der Glaube an den grünen Fortschritt im Stile „Millimeter für Millimeter kommen wir voran“ noch funktioniert, ist doch recht fragwürdig. Man spekuliert auf die endlose Geduld der Bevölkerung. Und das ist leichtfertig.

Ihre persönliche Perspektive? Entscheidung?

Nachdenken. Ich werde mich erstmal mit meinen Freunden von der Bürgerrechtsbewegung und vom „Aufbruch“ beraten.

Interview: Klaus Hartung

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