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INTERVIEW„Ich habe die Hoffnung aufgegeben“

■ Gerd Billen, vormals Spitzenkandidat der NRW-Grünen zur Bundestagswahl 1990 und Stadtrat in Bonn, verläßt die Partei/ Als Vorsitzender der Verbraucherinitiative Bonn gehört er zu den „praktizierenden“ Ökologen

taz: Herr Billen, Streit hat es bei den Grünen immer schon gegeben. Warum ziehen Sie gerade jetzt, nach Neumünster, den Schlußstrich?

Gerd Billen:Ich hatte mir gewünscht, daß diese Bundesversammlung ein deutliches Signal wird für einen Aufbruch der Grünen in Richtung Gesellschaft. Und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen mit Personen, die dafür stehen, daß die Grünen bundesweit politisch weiter mitmischen wollen. Zum anderen dadurch, daß die strukturellen Voraussetzungen für eine bessere Politik zügig geschaffen werden. Das eine ist gar nicht und das andere nur halbherzig gelungen. Ich fürchte, daß die Phase grüner Selbstbeschäftigung, die die Partei schon seit fünf Jahren bestimmt, nun noch weitere fünf Jahre anhält.

Sie sind nicht der einzige, der seinen Austritt angekündigt hat. Jutta Ditfurth hat ihn allerdings nicht mit der Selbstbeschäftigung der Partei mit ihren Prinzipien begründet, sondern mit der Abkehr von ebendiesen grünen Urbekenntnissen. Was stimmt denn nun?

Das ist schon eine seltsame Gemeinschaft, die sich da zwischen Jutta Ditfurth und mir ergibt. Vielleicht liegt die unterschiedliche Begründung daran, daß mein Ohr näher an der Ökologiebewegung ist als das von Jutta Ditfurth. Die Ökologiebewegung hat in den letzten Jahren einen erheblichen Lernprozeß durchgemacht. Es hat dort nie ein Rotationsprinzip gegeben. Ein Hubert Weinzierl kann auch nach vielen Jahren noch Führungsfigur des BUND sein. Das gilt für andere Organisationen auch. Die Ökologiebewegung hat außerdem viel schneller als die Grünen Konsequenzen aus dem Scheitern des Sozialismus gezogen. Ich bin überzeugt, daß eine Politik, die jede Markt-Ökonomie strikt ablehnt, ins Leere läuft. Was die Umweltbewegung unter dem Stichwort ökologische und soziale Marktwirtschaft in die Debatte geworfen hat, halte ich für etwas sehr Fruchtbares und Vorwärtstreibendes. Davon sind die Grünen immer noch weit entfernt.

Die Realos, denen Sie ja zugerechnet wurden, scheinen mit dem Debakel von Neumünster ganz gut leben zu können. Ist mit dem Auszug Jutta Ditfurths und ihrer Getreuen nicht ein entscheidender „Bremsfaktor“ verschwunden?

Das Spektrum der Bremser ist noch lange nicht ausgezogen. Ich halte auch das „Linke Forum“ für einen Bremsfaktor innerhalb der Grünen. Zahllose Diskussionen mit den Vertretern dieser Gruppe in meinem Landesverband NRW haben für mich gezeigt, daß da eine sehr starre, politisch konservative Haltung vorherrscht. Neumünster war auch ein Beleg, daß die Mehrzahl der Delegierten nicht entschlossen genug Abschied nehmen will von überholten linken Politikvorstellungen. Ich erlebe die Realo-Hoffnungen auf eine grundlegende Veränderung der Grünen inzwischen schon seit vier oder fünf Bundesversammlungen. Ich habe diese Hoffnung aufgegeben.

War die Wahl von Christine Weiske und Ludger Volmer dafür entscheidend?

Ja, weil ich glaube, daß in der Öffentlichkeit im wesentlichen Personen für grüne Politik stehen. Ludger Volmer und Christine Weiske stehen für eine verharrende, an bestimmten linken Traditionen festhaltende Politik. Für eine Politik, die sich abkapselt in dieser Gesellschaft. Ich hätte mir die Wahl von Antje Vollmer gewünscht, weil sie jemand ist, die querdenkt und auch die Partei herausfordert. Aber solche Leute werden innerhalb der Grünen nicht geduldet.

Sie gehören zu einer schrumpfenden Schar originärer Ökologen innerhalb der Grünen. Überlegen auch andere aus diesem Spektrum, die Partei zu verlassen?

Mein Eindruck ist, daß der Abschied von den Grünen bei solchen Mitgliedern weitergeht, die aktiv in der Umweltbewegung sind oder verantwortliche Positionen in Stadtverwaltungen oder Verbänden einnehmen. Die Grünen nehmen ihre ökologischen Ziele nicht ernst. Es ist bezeichnend, daß die Kampagne gegen die Klimakatastrophe mit dem Wahltag am 2. Dezember aufgehört hat. Danach habe ich von den Bundes-Grünen nichts mehr zum Thema gehört. Es ist einfach ärgerlich, daß die Öko-Themen nicht nach dem Grad ihrer Wichtigkeit, sondern nach anderen Kriterien ausgewählt werden.

Noch nach der Wahl im Dezember sind Sie an Umweltverbände und andere umweltpolitisch aktive Leute mit einem Aufruf herangetreten, in dem diese die Grünen zu Veränderungen in Ihrem Sinne auffordern sollten. Was ist daraus geworden?

Damit bin ich ziemlich auf Widerstand gestoßen. Bei den großen Umweltverbänden hat man meine damalige Einschätzung kaum geteilt, daß die Grünen auch im Bundestag weiterhin wichtig sind. Für den Bereich, den ich überschauen kann, war die Resonanz auf das Wahldebakel sehr, sehr gering.

Was macht Gerd Billen jetzt ohne die Grünen?

Ich werde erst mal eine Parteienpause einlegen und dann überlegen, ob ich in die SPD eintrete. Interview: Gerd Rosenkranz

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