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INTERVIEWZiel: Richterstellen sparen

■ Die Berliner Justizsenatorin verteidigt Rechtsmittelverkürzung

Die Länderjustizministerinnen und -minister haben einen Gesetzentwurf zur Entlastung der Justiz beschlossen, der noch vor der Sommerpause im Bundesrat eingebracht werden soll. So sollen in der Strafgerichtsbarkeit das Beweisantragsrecht und die Rechtsmittelmöglichkeiten drastisch beschränkt werden, im Strafbefehlsverfahren soll der Sanktionsrahmen erweitert und in den Strafkammern die Zahl der Richter reduziert werden. Das alles soll Personal für den Aufbau der Justiz in den fünf neuen Bundesländern freisetzen. Die taz sprach mit der Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach, einer vehementen Befürworterin der Gesetzesinitiative.

taz: Frau Limbach, zeigt die ehemalige Justizsenatorin des rot-grünen Senats jetzt ihr wahres Gesicht, oder was hat Sie dazu bewogen, im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Entlastung der Rechtspflege einzubringen, der schwärzer kaum sein kann?

Jutta Limbach: Ich halte schon die Etikettierung unseres Entwurfs für eine Überzeichnung. Nicht nur die Justiz, sondern die ganze öffentliche Verwaltung hat ein Ressourcenproblem. Wir können nicht bis ins Unendliche weitere Stellen für die öffentlichen Aufgaben verlangen.

Der Gesetzentwurf ist aber keineswegs neu. Ein Großteil der Änderungsvorschläge stammt aus der Mottenkiste der Ministerialbürokratien. Er wird seit Jahrzehnten zu beliebigen Anlässen herausgeholt.

Im Bereich der Strafrechtspflege wurden in dem Entwurf tatsächlich Reformvorschläge aufgegriffen, die schon in früheren Jahren diskutiert und verworfen worden sind. Ich meine aber, daß die Herkunft dieser Vorschläge noch nichts über ihre inhaltliche Qualität aussagt. Manche stammen ja bekanntlich aus den dreißiger Jahren.

Der gedankliche Vorläufer für die geplante Beschränkung der Rechtsmittel gegen strafgerichtliche Urteile ist eine Notverordnung von 1932. Ein anderer Vorläufer ist ein Gesetz von 1935, mit dem die Nazis später das förmliche Beweisantragsrecht eliminierten.

Wir sehen hier überhaupt keinen Zusammenhang. Das Gesetzesvorhaben verdient keine Gleichsetzung mit dem, was in den dreißiger Jahren probiert worden ist. Die Strafverteidiger reagieren immer empfindlich, wenn es irgendwelche Beschränkungen der Strafprozeßordnung gibt. Das ist ihr gutes Recht, weil sie gebrannte Kinder sind. Ich erinnere nur an die Beschränkung der Verteidigerbefugnisse im „deutschen Herbst“ im Zusammenhang mit dem Paragraphen 129a. (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, d. Red).

Den Paragraphen 129a abzuschaffen, das wäre zum Beispiel mal ein gutes Werk.

Ich persönlich würde mich sofort anstandslos von dem Paragraphen 129a verabschieden, weil ich meine, daß wir ihn nicht brauchen. Die Forschung hat gezeigt, daß die Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich des 129a in keinem Verhältnis zu der Zahl der Verurteilungen steht. Aber mit diesem Vorschlag stehen die Strafverteidiger und die Berliner Justizsenatorin relativ allein da.

Zurück zu dem Gesetzesvorhaben. Ein viel probateres Mittel zur Entlastung der Justiz wäre die Entkriminalisierung der Bagatellkriminalität.

Hier ein Konsens zwischen den Justizministerinnen und -ministern zu stiften, würde sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Da sind von vornherein bekannte Gegensätze da.

Warum macht Berlin nicht wenigstens einen Vorstoß, oder scheitert das an der CDU?

Nein. Wir haben das mit der CDU gar nicht besprochen. Es ist aber richtig, daß der Versuch, den Bagatellbereich zu entkriminalisieren, bei konservativen Rechtspolitikern nicht auf geneigte Ohren stoßen würde. Wir haben im Jahr 1989 durch die Aufhebung des sogenannten Baumann-Erlasses die Einstellungspraxis im Bereich des Ladendiebstahls liberalisiert. Eine umfassende Entkriminalisierung der Bagatelldelikte setzt differenziertere Überlegungen voraus.

Der Gesetzentwurf zur Entlastung der Justiz geht voll auf Kosten des kleinen Eierdiebs, dessen Rechtsmittel gegen Urteile erheblich eingeschränkt werden. Der Staatsanwaltschaft hingegen wird bei ihren Rechtsmitteln im Bereich der Bagatellkriminalität keinerlei Beschränkung auferlegt.

Daß der Entwurf zu Lasten des kleinen Eierdiebs geht, halte ich für falsch. Die Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft sollen erweitert werden.

Die Abschaffung der Sprungrevision und die Einführung einer Zulassungsberufung gegen Verurteilungen von nicht mehr als dreißig Tagessätzen könnte zur Folge haben, daß sich die Richter die Sache in Zukunft sehr einfach machen, weil sie keiner Kontrolle mehr ausgesetzt sind.

Das glaube ich nicht. Richtig ist, daß die Kontrolle für die Güte von Arbeit wichtig ist. Aber der Richter wird sich bewußt sein, daß er die entscheidende Instanz ist. Ich gehe davon aus, daß dies bei der Mehrzahl der Richterinnen und Richter eher dazu führen wird, den Fall mit besonderer Akribie zu behandeln.

Strafbefehlsverfahren sollen auf ein Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung ausgedehnt werden. Das scheint besonders perfide, weil vielen Betroffenen die Bedeutung eines solchen Schriftstücks und die damit verbundene Einspruchsfrist bestimmt nicht klar sein wird.

Die Kritiker tun hier so, als würden öffentliche Schriftstücke überwiegend nicht gelesen. Das müßte einmal empirisch überprüft werden. Vor dem Widerruf der Bewährung wird der Verurteilte in jedem Fall mündlich angehört.

Der Grund, daß bisher sowenig Richter bereit waren, in die fünf neuen Bundesländer zu gehen, ist doch nicht der, daß sie hier so überlastet sind, sondern daß sie keine Lust haben.

Das trifft in dem Maße nicht zu. Aus Berlin würden einige Richter und Staatsanwälte sehr gern rübergehen. Die Bitte wird immer wieder an mich herangetragen, aber ich kann sie einfach nicht gehen lassen. Das gleiche wird auch von Baden- Württemberg und Bayern berichtet.

Was für Kapazitäten würden durch das neue Gesetz frei werden?

Wir haben keine absoluten Zahlen. Aber wir gehen davon aus, daß Einsatz des obligatorischen Einzelrichters dazu führen wird, daß, pro Kammerbesetzung gesehen, ein halber Richterposten frei wird.

Niedersachsen, Saarland und Hessen haben inzwischen Bedenken gegen den Gesetzentwurf geäußert. Die Berliner SPD-Justizsenatorin hält aber weiter daran fest?

Ja. Ich habe den Entwurf dem Senat vorgelegt. Er hat den Beschluß gefaßt, ihn als Bundesratsinitiative einzubringen. Das entspricht auch meiner Rolle als Vorsitzende der Justizministerkonferenz. Ich sehe das bei aller Kritik, die ich schätze und die mich nachdenklich macht, als kein anstößiges Verfahren an. Denn mit der Einbringung dieser Bundesratsinitiative eröffnen wir den demokratischen Gesetzgebungsprozeß. Die Kritik kommt ja hauptsächlich aus den Reihen der Anwälte...

Der Richterbund ist auch dagegen.

Wir haben mit der Kritik der Berufsverbände von vornherein gerechnet.

Dann hatten die Anhörungen der Berufsverbände also nur Alibicharakter?

Nein. Die Ergebnisse der Anhörungen werden im Rechtsausschuß des Bundesrats berücksichtigt werden.

Was werden Sie tun, wenn das Gesetzesvorhaben scheitert?

Ich bin da hoffnungsfreudig, zumal sich die Kritik auf wenige Punkte beschränkt und mir sehr überzogen erscheint. Wir sind befangen in unserem hypertrophen Rechtswegesystem. Wir können uns überhaupt nicht vorstellen, daß Rechtsprechung sehr viel schlichter und prompter erledigt werden könnte. Die Klage über die Prozeßflut zeigt doch, daß man nicht mehr so weiter machen kann wie bisher. Interview: Plutonia Plarre

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