INTERVIEW: Frankreichs Frauen
■ Ein Gespräch mit der ehemaligen Frauenministerin Michèle André
Fast drei Jahre lang arbeitete Michele André als Staatssekretärin für Frauenrechte im Kabinett von Michel Rocard. Die 44jährige Tochter eines Teilerwerbsbauern aus der Auvergne gilt als enge Vertraute des abgesetzten Premierministers und wird jetzt Rocards Kandidatur für die Präsidentschaftwahlkampf 1995 vorbereiten. Michele André ist zugleich Vize-Bürgermeisterin von Clermont-Ferrand und Direktorin einer großen Schule für Taubstumme. 1984 kandidierte sie im Departement Puy-de-Dôme gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing.
taz: Kurz nach der Ernennung Edith Cressons zur Premierministerin sah man ein sonderbares Schauspiel im Fernsehen: Vertreterinnen der Frauenbewegung bedankten sich beim Staatspräsidenten, daß er nun endlich eine Frau an die Spitze der Regierung gesetzt habe. Ist es kennzeichnend für den Stand der französischen Frauenbewegung, immer noch brav dankeschön zu sagen?
Zersplitterte Frauenbewegung
Michele André: Wissen Sie, es ist gerade das Problem des Feminismus in Frankreich, daß die Frauenbewegung in eine Unzahl kleiner Grüppchen aufgespalten ist. Es gibt bei uns keinen große, selbstbewußte und allgemein legitimierte Vertretung der Frauen. Dadurch lassen sich derartige infantile und infantilisierende Reaktionen erklären.
Das Interessante an der Ernennung Edith Cressons war für mich der Bruch zwischen der politischen Klasse und der Gesellschaft. Die Politiker, egal ob auf der Rechten oder der Linken, sahen in einer Premierministerin etwas Unfaßbares. Die meisten französischen Frauen waren weit weniger überrascht als die Politiker. Immerhin gibt es seit zwanzig Jahren eine Frauenbewegung in Frankreich, die sich für gleiche Rechte am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Partnerschaft eingesetzt hat. Es ist die logische Konsequenz, daß der Präsident auch eine Frau zur Regierungschefin ernennen kann.
Es bedarf aber nach wie vor der Entscheidung eines Mannes, die Frau in diesen Posten einzusetzen. Könnte es bald auch eine Staatspräsidentin in Frankreich geben?
So wie die Verfassung und die politischen Parteien gebaut sind — nein. Die Parteien empfinden die Präsenz von Frauen noch nicht als selbstverständlich, weil sie eine gewisse — männliche — Idee von der Macht haben. Keine einzige Partei hat eine Frau an der Spitze. Frauen sind auch nicht sehr zahlreich in den Parteien: Sie stellen weniger als 30 Prozent der Mitglieder.
Hat die Sozialistische Partei nicht eine Quotenregelung von 30 Prozent für alle Parteiebenen beschlossen?
Gewiß. Aber unsere Politiker waren keineswegs von dem Beschluß überzeugt, die Politikerinnen übrigens auch nicht. Sie wollten nicht als „Quotenfrau“ durch die Instanzen ziehen. Auf alle Fälle wird die Quote nicht angewendet. Meist mit dem Argument, es hätte sich keine kompetente Frau gefunden. Als ob alle unsere Politiker kompetent wären... Die Wähler ihrerseits haben übrigens überhaupt keine Probleme mit Kandidatinnen.
Welcher Teil der ausgebildeten Beamtenaristokratie an den Grandes Ecoles ist denn inzwischen weiblich?
Weit weniger als ein Drittel. Obwohl es sich in den letzten Jahren sehr verbessert hat. Erst jetzt beginnen wir, hochqualifizierte Frauen von 40, 45 Jahren zu haben, also die Generation, die 1968 zwanzig Jahre alt war.
Als Mitterrand vor zehn Jahren gewählt wurde, gab es weniger Frauen in der Nationalversammlung als 1944. Hat sich das seither geändert?
Eine Frau als Ministerpräsidentin
Nein. Heute sind sechs Prozent der Abgeordneten weiblich. Nach der Befreiung waren es acht, weil viele Frauen in der Résistance gewesen sind. Neulich sprach ich mit Lucie Aubrac, der großen Widerstandskämpferin. Sie war Deputierte, aber wollte zumindest eines ihrer Kinder nicht unter Kriegsbedingungen großziehen. Deswegen verließ sie das Parlament — ein typischer Fall. Die Sozialisten haben eine einzige Senatorin — eine einzige! Und gegen welche Widerstände haben wir sie durchgesetzt. Sie wurde von den eigenen Genossen als Usurpatorin angesehen. Ganze zwei größere Städte haben Bügermeisterinnen: Edith Cresson in Chatellerault und Cathérine Trautmann in Straßburg.
Fran¿ois Mitterrand übrigens hat eine große Qualität: Er weiß mit Beraterinnen zu umgeben — meistens mit jungen und schönen und klugen Beraterinnen —, denen er die Möglichkeit zum Aufstieg gibt, Edith Cresson zum Beispiel. Dadurch hat sich in der Öffentlichkeit das Bild der verbissenen Feministin, die keinen BH trägt etc., zugunsten eines ganz anderen, positiven Frauenbildes aufgelöst. Das ist schon ein realer Fortschritt in Frankreich.
Aber die große Gefahr ist jetzt, daß über die Ernennung Edith Cressons eine dramatische Realität vergessen wird: Frankreich ist unter allen europäischen Ländern das Land mit der geringsten Frauenpräsenz in gewählten Gremien. International stehen wir — zusammen mit der Türkei! — auf Platz 22. Eine sonderbare Position für das Land der Menschenrechte.
Gibt es Anzeichen, daß Edith Cresson eine frauenfreundlichere Politik führen wird?
Als Mitglied des alten Kabinetts muß ich mich in Kommentaren zurückhalten. Ich weiß nicht, ob eine Frau an der Spitze einer Mannschaft von schwierigen, turbulenten und von sich eingenommenen Ministern viel ändern kann. Aber ich bin sehr gespannt, wie jetzt die Listen für die Regionalwahlen zusammengestellt werden. Ich fürchte, es wird weniger Frauen geben, weil die Männer sagen: Ihr habt schon die Premierministerin, was wollt ihr denn noch?
1981 wurde ein eigenes Ministerium für die Rechte der Frau eingeführt. Seit 1986 gibt es nur noch ein Staatssekretariat. Ist diese Struktur ihrer Erfahrung nach ausreichend?
Ich denke ja. Ich war direkt dem Premier unterstellt und hatte deswegen Zugriff auf die Stäbe aller Ministerien. Meine Nachfolgerin Véronique Neiertz allerdings wird in Zukunft allein dem Arbeitsministerium unterstehen und kann dann nicht mehr direkt mit anderen Ministerien zusammenarbeiten. Das ist bedauerlich, und es erschwert auch die Kooperation mit den anderen fünf Frauenministerinnen der EG.
Abtreibungsdebatte in Frankreich
Glauben Sie, daß das liberale Abtreibungsgesetz in Frankreich stark genug verankert ist, als daß es eines Tages wieder rückgängig gemacht werden könnte?
Ich glaube ja. Es gab vereinzelte Kommandoaktionen gegen Abtreibungskliniken, aber das waren meist amerikanische Aktivisten. Ich bin damals mit meinem Kollegen vom Gesundheitsministerium in die Krankenhäuser gegangen, um zu zeigen, daß wir das Recht auf Abtreibung garantieren. Keine Partei hat dagegen protestiert.
Wie wird die deutsche Abtreibungsdebatte in Frankreich wahrgenommen?
Ich habe es sehr bedauert, meinen Posten verlassen zu müssen, als ich gerade zu Angelika Merkel ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte. Sie hat mir gesagt, wie sehr die deutschen Frauen jetzt die Solidarität der anderen Europäerinnen bräuchten. Es ist für ganz Europa sehr wichtig, ob das deutsche Abtreibungsgesetz verschärft wird. Denn überall wird versucht, die Regelungen restriktiver zu handhaben. Eine erschreckende Kehrtwendung, in Spanien etwa, von Irland ganz zu schweigen. In Polen will Lech Walesa die Abtreibung rekriminalisieren. Ich habe mehrere unserer Minister dazu bewegen können, auf den polnischen Präsidenten in unserem Sinn einzuwirken, und es scheint jetzt, als hätte es Erfolg gehabt. Das wäre auch wichtig für Sie Deutsche.
Es könnte sein, daß unsere Rechte bei den nächsten Wahlen mit einer Verschärfung des Gesetzes hausieren geht, um Wähler von der extremen Rechten herüberzuziehen. Ein Geschenk für Le Pen auf dem Rücken der Frauen. Aber wie gesagt, daß hängt von der Entwicklung in Europa ab. Wenn Deutschland es schafft, eine liberale Mischung aus den Regelungen in West und Ost zu finden, werden wir unser Gesetz erhalten können. Interview: Alexander Smoltczyk
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