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INTERVIEWDer Pfleger im Roggen

■ Der Herr des heiligen Rasens von Wimbledon geht mit 65 Jahren schweren Herzens in Pension

1988 wurde Gärtner Jim Thorn, der Hüter des Rasens von Wimbledon, von der Königin zum „Member of Empire“ ernannt. Heute, drei Jahre später, streichelt der Herr des heiligen Rasens die Halme des Wimbledon Centre Courts wohl zum letzten Mal. Denn mit dem 103. All England Championships geht auch die über zwanzig Jahre dauernde Ära Thorn zu Ende: Jim Thorn muß mit 65 Jahren in Pension. Die taz sprach mit dem scheidenden Groundsman.

taz: Mister Thorn, wie groß ist der Trennungsschmerz?

Jim Thorn: Enorm. Ich dachte, es würde ganz einfach werden, einfach rauszugehen, good bye zu sagen, und das war's dann. Aber es klappt nicht. Wissen Sie, diese vierzehn Turniertage pro Jahr sind für mich ein ungeheures soziales Highlight. Dort treffe ich jedesmal so viele alte Freunde wieder. Zu wissen, daß das vorbei ist, daß man nicht mehr dazugehört, ist wirklich aufwühlend.

Auch wegen Ihrer Privilegien?

Natürlich. Meiner Meinung nach kann keiner im Berufsleben weiter kommen als ich.

Sehen Sie den Centre Court als Ihr Eigentum an?

Ich habe hier 32 Rasenplätze, und jeder von ihnen ist mein Eigentum. Wenn jemand sie betritt, wird er von mir sofort beschimpft. Außer er ist ein Spieler, dann gehört der Court augenblicklich ihm. Er kann darauf tun und lassen, was er will, das tangiert mich nicht im geringsten. Aber vorher und nachher sind die Plätze meine Kinder.

Sie reißen die Plätze nach dem Turnier ab?

Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie müssen es selber sehen, es ist wirklich unglaublich. Zunächst wässern wir sie. Das dauert ein ganze Zeit. Dann nehmen wir furchterregende Maschinen und reißen buchstäblich die Oberfläche runter. Es ist wirklich dramatisch, wenn am Ende der ehemalige Rasenteppich als einzelne Abfallstückchen auf dem Platz rumliegt. Am Schluß ist nur noch wenig sichtbares Gras vorhanden. Schließlich wird der ganze Platz neu eingesät. Nach neun Tagen schneiden wir den Rasen wieder. Bis dahin hat das Gras gekeimt, ist gewachsen und schon über zweieinhalb Zentimeter lang.

Ist es schwer, das mitanzusehen?

Nein. Lustigerweise bereitet es mir eine geradezu masochistische Freude, die Gesichter der Leute zu beobachten, wenn sie diese schreckliche Unordnung auf dem Centre Court sehen. Ich weiß ja, daß es in ein paar Tagen besser ist, die anderen aber nicht. Da kichere ich mir dann vor Spaß in den Ärmel.

Benutzen Sie eine spezielle Grasmischung?

Es hat Jahre gedauert, bis ich die richtige Mischung hatte. Denn als sich das Spiel veränderte, brauchten wir ein aggressiveres Gras, das einerseits solche Belastungen vertragen konnte, andererseits so fein war, daß es wie das ursprüngliche Centre- Court-Gras aussah. Nun haben wir es: Roggengras. Vor zehn Jahren haben alle darüber die Stirn gerunzelt, aber ich sage Ihnen: das moderne Roggengras ist das einzig wahre.

Ein Privatrezept?

Nein, es ist mittlerweile Standardbewuchs auf Kricket-, Tennis- und Hockeyplätzen. Nur die Golfer zieren sich noch. Aber es wird kommen.

Sind Sie eigentlich Tennisfan?

Ich weiß nicht, ob ich einer bin oder nicht. Ich bin ein Golfsüchtiger. Das ist eines meiner Probleme. Aber ich bewundere, wie sich Spieler da zu Tode anpeitschen. Es ist kein einfaches Spiel. Ich könnte es nicht. Ich verstehe es, und ich schätze es, aber ich bin ehrlich gesagt kein Fan.

Was dachten Sie, als Ivan Lendl sagte, Gras sei etwas für Kühe?

Ich habe nicht mehr von ihm erwartet. Er kann halt nicht auf Rasen spielen. Zu schnell, zu uneben.

Was passiert, wenn jemand voller Wut sein Racket aufs Gras donnert?

Das ärgert mich. Wenn sie runtergingen und es außerhalb täten, wär's mir egal. Vielleicht stelle ich doch noch schnell Schilder auf.

Wer wird nun Herr des Rasens?

Der neue Groundsman Eddie Seawood, ist seit 16 Monaten hier, hat gerade sein zweites Turnier gemacht. Ich habe ihm am ersten Tag der Meisterschaft das Walkie-talkie übergeben und hatte eine wirklich gute Zeit, während er hart arbeitete. Er hatte ein fürchterliches Jahr diesmal, und die Tatsache, daß er es geschafft hat, trotzdem gute Plätze zu erstellen, spricht für ihn. Ich denke, Wimbledon hat nach wie vor die besten Rasenplätze der Welt. Interview: Michaela Schießl

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