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INTERVIEW„Eine Verfahrensbeschleunigung ist realistisch“

■ Percy Mac Lean, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in Berlin und als Richter am Verwaltungsgericht mit Asylsachen befaßt, über die Bonner „Zielvorstellungen“

taz: Wie lange muß denn ein Asylsuchender, der gegen die Ablehnung seines Antrages durch das Bundesamt geklagt hat, warten, bis sein Fall bei Ihnen an die Reihe kommt?

Mac Lean: Da muß man differenzieren zwischen Bescheiden des Bundesamtes, in denen der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden ist. Da dauert es je nach Einzelfall ein bis zwei Monate, bis über den einstweiligen Rechtsschutz entschieden ist. Gegen diesen Entscheid ist ja keine Beschwerde mehr möglich. Fällt er also negativ aus, kann die Abschiebung erfolgen. Anders sieht das aus, wenn das Bundesamt einen Antrag nicht mit der Qualifikation „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt hat. Dann läuft das Klageverfahren — und das kann je nach Herkunftsland und nach Belastung der Kammer ein bis zwei Jahre dauern.

Was da in Bonn beschlossen wurde, bezieht sich ja vorerst nur auf die „offensichtlich unbegründeten“ Asylanträge. Da will man das ganze Verfahren in Zukunft binnen sechs Wochen abwickeln. Halten Sie das für realistisch?

Wir haben das von seiten der ASJ ja schon lange gefordert, daß das Verwaltungsverfahren in diesem Sinne beschleunigt wird. Das ist realistisch, wenn man bestimmte Vorgaben schafft.

Vorgesehen ist, daß Sie als Richter in einem solchen Eilverfahren gar nicht mehr in Ihrem Gericht entscheiden, sondern als eine Art fliegendes Gericht von Sammellager zu Sammellager eilen...

„Fliegendes Gericht“ würde ich das nicht nennen. Es sollen eben Außenstellen der Verwaltungsgerichte in der Nähe der Unterkünfte eingerichtet werden. Das wäre ja durchaus sinnvoll. Auch geht es nicht um „kurzen Prozeß“, sondern um die rechtsstaatlich unbedenkliche Vermeidung von Leerlauf. Deshalb muß der Richter aber die Möglichkeit haben, die vorgesehene Frist von zwei Wochen für eine gründlichere Prüfung im Einzelfall auf Beschluß zu verlängern. Da sehe ich aber kein Problem, wenn wir da verantwortungsvolle Richter dransetzen.

Nun basiert die gesamte Verfahrensverkürzung auf einer zentralen Voraussetzung, nämlich der Unterbringung von Asylsuchenden in Sammellagern. Über solche Lager ist viel geredet worden, die zum Teil verheerenden Auswirkungen auf Flüchtlinge hat man untersucht und festgestellt. Hat die ASJ da keine Bauchschmerzen?

Wir haben das unter der Prämisse selbst vorgeschlagen, daß nur die Aslybewerber in Sammelunterkünfte kommen, deren Fälle absehbar schnell zu entscheiden sind, und daß der Aufenthalt in dem Lager acht Wochen nicht überschreiten darf. Außerdem muß garantiert sein, daß Flüchtlingsorganisationen Zutritt haben, und daß eine rechtliche Beratung und eine soziale Betreuung gewährleistet sind. Wenn sich im Laufe der Anhörung herausstellt, daß eine gründliche Prüfung nötig ist, oder klar ist, daß der Betroffene so oder so nicht abgeschoben werden kann, dann haben diese Menschen in einem Sammellager nichts verloren. Das gilt zum Beispiel für die Asylsuchenden aus Jugoslawien oder für die Roma und Sinti aus Rumänien.

Politiker gehen gerne mit der Vorstellung hausieren, die in einem solchen Eilverfahren abgelehnten Asylbewerber würden zwangsläufig auch abgeschoben. Ist nicht absehbar, daß ein Großteil von ihnen als De-facto-Flüchtlinge bleiben darf?

Da kommen wir zum Knackpunkt. Eigentlich müßte das ganze Ausländergesetz grundsätzlich dahingehend geändert werden, daß ein einheitliches Aufenthaltsrecht, gestaffelt nach Aufenthaltsfristen, geschaffen wird. Es muß verhindert werden, daß einerseits aufwendig über die Frage „Asyl ja oder nein?“ entschieden wird — und nachher darf der Betreffende aus ganz anderen Gründen ohnehin hierbleiben, zum Beispiel weil er aus einem Bürgerkriegsgebiet kommt. Da könnten wir das Asylverfahren entlasten, wenn wir gar nicht erst diejenigen hineintreiben, die ohnehin eine Aufenthaltserlaubnis bekommen würden.

In Bonn wird trotz gegenteiliger Beteuerungen der SPD schon wieder gemunkelt, daß auch nach der gestern erzielten Einigung eine Änderung des Grundrechts auf Asyl weiter im Gespräch bleibt...

Das widerspricht eindeutig dem Grundsatzprogramm der SPD. Dort ist fest verankert, daß das Grundrecht auf Asyl erhalten bleiben muß. Jedes Herummanipulieren an Artikel 16 würde nur unser Ansehen in der Welt schädigen und hätte im übrigen keinerlei Beschleunigungseffekt. Das ist eine Scheindebatte. Insofern sind alle, die an diesem Grundrecht herumsägen wollen, entweder sachlich nicht informiert oder böswillig. Das gilt auch für diejenigen, die an der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes, also Artikel 19, Absatz vier, herumsägen wollen — was unseligerweise auch von einigen populistischen SPD-Politikern getan wird. Das hätte überhaupt keinen beschleunigenden Effekt. Interview: Andrea Böhm

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