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INTERVIEW„Es wäre ein Krieg von Haustür zu Haustür“

■ Muhamed Cengic, Vizepräsident von Bosnien-Herzegowina, über die drohende Kriegsgefahr

Neben seinem Amt als zweiter Mann der Republik ist Muhamed Cengic auch Vize der moslemischen Partei der „Demokratischen Aktion“ (SDA). In die Politik ist er erst vor anderthalb Jahren eingestiegen — nach einer erfolgreichen Karriere als Geschäftsmann. (Das Interview wurde wenige Tage vor der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas geführt!)

taz: Die Armee scheint einen Krieg Serbiens zu führen. Und Serbien ist gegen die Unabhängigkeit Kroatiens, jedenfalls dagegen, daß die von Serben besiedelten Gebiete Kroatiens mit in ein unabhängiges Kroatien entlassen werden. In Bosnien-Herzegowina gibt es 31 Prozent Serben. Wird sich Ihre Republik aus dem Krieg heraushalten können?

Cengic: Dafür tun wir alles. Aber im Osten Herzegowinas, unweit von Dubrovnik, operieren serbische Freischärler, sie greifen von dort aus Kroatien an. Im Westen Bosniens, in der bosnischen Krajina, hat unsere Regierung keine Kontrolle mehr, hier herrscht die jugoslawische Armee. Sie rekrutiert dort Leute und führt von bosnischem Gebiet aus einen Krieg gegen Kroatien.

Die Armee oder serbische Freischärler?

Sie treten zusammen auf, Reservisten der Armee und Freischärler. In der bosnischen Krajina leben 54 Prozent Serben. Nach den Wahlen vom vergangenem November haben hier in Sarajewo die moslemische, die serbische und die kroatische Partei eine gemeinsame Regierung gebildet. Jetzt behauptet die SDS, die Partei der hiesigen Serben, daß die Serben dort, wo sie in der Mehrheit sind, bedroht sind. Und als Antwort auf diese Unterstellung sind sie dabei, eine Art autonome bosnische Krajina zu bilden. Wahrscheinlich wollen sie schon bald aus der kroatischen und der bosnischen Krajina zusammen einen selbständigen serbischen Staat machen. In Wirklichkeit sind im übrigen in der bosnischen Krajina die Moslems bedroht. Wenn sie sich nicht für den Krieg gegen Kroatien mobilisieren lassen, werden sie von ihren Arbeitgebern entlassen. Ein Serbe, der sich als Reservist einziehen läßt, geht in die kroatische Krajina. Dort meldet er sich beim serbischen Polizeioffizier Martic und wird dann einer paramilitärischen Einheit eingegliedert.

Was geschieht jetzt, wo Kroatien und Slowenien unabhängig geworden sind? Wird Bosnien-Herzegowina Teil eines geschrumpften, von Serbien dominierten Jugoslawiens bilden?

Nein, dann muß Bosnien-Herzegowina auch ein souveräner Staat werden. Erst danach werden wir mit anderen Republiken darüber sprechen, was an gemeinsamer Struktur möglich ist. Doch vorerst versperrt uns die jugoslawische Armee diesen Weg und auch die serbische „Demokratische Partei“ (SDS) in unserer Republik. An einer friedlichen Lösung glaube ich kaum mehr, aber soweit können wir es einfach nicht kommen lassen, daß die Armee unsere Städte so zerstört, wie sie es in Kroatien getan hat. In Dubrovnik gab es keine Soldaten, keine Kasernen, keine wichtigen strategischen Ziele...

Der Serbe Milosevic und der Kroate Tudjman sollen Geheimverhandlungen über eine Teilung Bosnien- Herzegowinas geführt haben. Besteht die Gefahr, daß serbisch besiedelte Gebiete an Serbien und kroatisch besiedelte Gebiete an Kroatien angegliedert werden?

Das läßt sich kaum realisieren. Es gibt nur einige wenige kleine Gebiete, wo Serben oder Kroaten über 80 Prozent der Bevölkerung stellen. In aller Regel ist die Bevölkerung stark durchmischt. Und ein weiteres Problem wäre dann, daß ein Teil der Moslems, die ja in unserer Republik immerhin die stärkste Nation sind, in Serbien, ein anderer Teil in Kroatien verbliebe.

Gibt es Kräfte in Ihrer Partei, die an einen eigenen moslemischen Staat denken?

Nein. Bosnien-Herzegowina ist der Staat der Serben, Kroaten und Moslems. Der Chef der serbischen „Demokratischen Partei“ Bosnien-Herzegowinas, Karadzic, will uns zwar die Idee eines solchen Staates aufschwatzen, um die Serben gegen die Moslems aufzuwiegeln. Er will Konflikte schüren, bis ein Zusammenleben der Völker nicht mehr möglich ist. Dann wird er die Abtrennung serbisch besiedelter Gebiete von Bosnien-Herzegowina fordern. Das aber ist angesichts der Durchmischung sehr schwierig und würde bald zum Bürgerkrieg führen. Nein, es bleibt uns in Bosnien keine Alternative: Die drei Völker müssen miteinander auskommen.

Gibt es denn angesichts der von Ihnen ins Auge gefaßten Perspektive eines unabhängigen Bosnien-Herzegowinas einerseits und angesichts der Strategie der serbisch dominierten Armee in Bosnien-Herzegowina andererseits Überlegungen, eine eigene Streitmacht aufzustellen?

Nein, denn das würde sofort zum offenen Bürgerkrieg führen, noch schlimmer als in Kroatien. Und hier würde der Krieg von Haustür zu Haustür geführt. Interview: Thomas Schmid

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