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INTERVIEW„Es gibt nicht überall nur Haß“

■ Zu den Chancen der jugoslawischen Friedensbewegung in Zeiten des Krieges

Die Philosophin Aida Bagic und die Soziologin Vesna Jankovic, „Beruf Hexe“, beide aus Zagreb, sind in der jugoslawischen „Antikriegsbewegung“ aktiv. Zu diesem Bündnis schlossen sich am 12. Oktober zwölf Gruppierungen aus der pazifistischen, ökologischen und feministischen Bewegung zusammen, unter ihnen das serbische „Zentrum für Antikriegsaktionen“, das montenegrinische „Bürgerkomitee für den Frieden“, die „Grüne Aktion Zagreb“ und die „Frauenhilfe jetzt“.

taz: In Kriegszeiten haben es Pazifisten schwer, zumal in Ländern, die angegriffen werden und sich militärisch verteidigen. Welche Perspektiven hat die Antikriegsbewegung hier in Kroatien, wo Bomben fallen und Städte beschossen werden?

Aida Bagic: Ich glaube, die Friedensbewegung wird diesen Krieg schwerlich stoppen können. Um aus dieser Ohnmacht herauszukommen, müssen wir jetzt schon an die Zukunft denken. Die Friedensbewegung will also vor allem auch eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg entwickeln. Deshalb sind Projekte, die auf eine längere Frist angelegt sind, sehr wichtig.

Vesna Jankovic: Die Friedensbewegung ist auch eine Bewegung für die Menschenrechte. Wir wollen schon jetzt in Kriegszeiten die zivile Gesellschaft ausbauen und müssen uns dagegen wehren, daß durch die Militarisierung der Raum für die Entwicklung einer zivilen Gesellschaft eingeengt wird. Wir müssen die Feindbilder zerstören, die jetzt nun aufgebaut werden, und gegen das Schwarz-Weiß-Denken ankämpfen.

Wird die Antikriegsbewegung hier in Zagreb in irgendeiner Weise von der Regierung behindert?

Aida Bagic: Nein, noch nicht. Wir haben es sicher hier leichter als unsere Freunde in Belgrad.

Vesna Jankovic: Aber falls es hier zu einer Generalmobilmachung kommt und die Leute zum Kriegsdienst verpflichtet werden, könnten wir schon Schwierigkeiten kriegen. Wir werden uns in jedem Fall auch dann für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzen. In der neuen Verfassung vom Dezember 1990 ist zwar das Recht auf Kriegsdienstverweigerung festgeschrieben. Doch jetzt wollen viele Politiker, daß dieser Artikel erst nach dem Krieg Gültigkeit erlangt.

Vor allem muß ja in Belgrad, auf der Seite des Aggressors, nun Druck auf die Politiker gemacht werden. Wie sieht es denn dort mit der Antikriegsbewegung aus?

Aida Bagic: Ein direkter Telefonkontakt zu Belgrad ist nicht mehr möglich. Aber über unsere Kanäle über Budapest wissen wir, daß in Belgrad nur 15 Prozent dem Einberufungsbefehl Folge leisten, in der umliegenden Provinz sollen es allerdings 50 Prozent sein.

Vesna Jankovic: Es wird hier einen Runden Tisch geben, an dem Leute aus Belgrad, Ljubljana, Sarajevo und Zagreb teilnehmen.

Wie würden Sie diesen Krieg charakterisieren?

Aida Bagic: Es ist kein Krieg zwischen Nationen, sondern zwischen einer Zentralmacht, die in den Händen der serbischen Regierung und der jugoslawischen Armee liegt, und einer nationalen Bewegung, deren Wunsch es ist, sich von dieser Zentralmacht zu befreien.

Vesna Jankovic: Mit dem Krieg will vor allem der serbische Präsident Milosevic auch von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten ablenken. Die Leute fallen da um so eher auf Manipulationen herein, als sie während der Jahrzehnte der Herrschaft der kommunistischen Staatspartei entpolitisiert worden sind. Über die Zusammenstöße zwischen den Nationalitäten während des Zweiten Weltkrieges durfte ja unter Tito nicht gesprochen werden. Da gab es nur noch den antifaschistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien. Das rächt sich jetzt.

Aida Bagic: Die Parole hieß: Brüderlichkeit und Einheit. Ich hoffe, daß es nach dem Krieg zur Schwesterlichkeit und Verschiedenheit kommt.

Weshalb dieser Haß zwischen Serben und Kroaten?

Aida Bagic: Neben den historischen Gründen spielt auch das Bedürfnis nach einem Sündenbock für die Misere eine Rolle. Die Serben in Kroatien werden zweifellos von der Regierung Serbiens instrumentalisiert, um die Bestrebungen des kroatischen Volkes nach Unabhängigkeit zu hintertreiben. Dies hätte eine kluge kroatische Regierung verhindern können. Nun ist es zu spät. Doch es gibt nicht nur Haß. In Zagreb gehen 50.000 Serben mit den Kroaten schließlich zusammen in die Luftschutzkeller, wenn Bombenalarm ist. Es gibt Serben, die die kroatische Stadt Vukovar gegen die Angriffe der Armee mitverteidigen. Aus solchen Beispielen können wir Hoffnung schöpfen, daß das Zusammenleben auch weiterhin möglich ist.

Vesna Jankovic: Die kroatische Regierung hätte bei ihrem Kampf gegen den Zentralstaat nie auf die nationale Karte setzen dürfen. In Kroatien gibt es etwa dreißig verschiedene Nationalitäten, also kann Kroatien kein Staat der Kroaten sein, sondern nur ein Staat der Bürger, die in Kroatien leben.

Aida Bagic: Wir erarbeiten nun Projekte zum Wiederaufbau der Dörfer, in denen Kroaten und Serben zusammengelebt haben. Kroatische Aktivistinnen werden mit kroatischen Flüchtlingsfrauen und serbische mit serbischen sprechen, um Erinnerungen an ein konfliktfreies Zusammenleben wieder wachzurufen. Ein Dialog zwischen Serbinnen und Kroatinnen wird erst danach angestrebt. Langfristig werden wir in Zagreb ein Friedenszentrum zur Förderung der gewaltfreien Kultur gründen. Der Balkan muß abrüsten, hier muß eine entmilitarisierte Zone entstehen.

Wer soll das finanzieren? Gibt es öffentliche Gelder?

Aida Bagic: Nein, nur Spenden, auch die Grünen Italiens wollen uns unterstützen, vielleicht stellt uns die Stadt ja Räumlichkeiten zur Verfügung, vielleicht eine Kaserne.

Was können wir in Deutschland tun?

Aida Bagic: Wir brauchen Geld. Aber vor allem muß man in Deutschland ins öffentliche Bewußtsein bringen, daß es in Europa einen Krieg gibt, daß Jugoslawien zu Europa gehört. Und das muß der letzte Krieg in Europa sein. Interview: Thomas Schmid

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