piwik no script img

INTERVIEW„Eine Attacke auf demokratische Spielregeln“

■ Klaus-Dieter Feige, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Grüne, kritisiert Krauses Beschleunigungsgesetz

Morgen wird sich der Verkehrsausschuß des Bundestages noch einmal mit dem Beschleunigungsgesetz befassen. Darin ist vorgesehen, „beschleunigt“ Verkehrswege in den neuen Bundesländern zu planen. Massive Kritik handelte sich der Entwurf bereits im September von Greenpeace ein, das verfassungsrechtliche Einwände erhob. Deshalb wird es in der morgigen Debatte unter anderem um die juristische Seite gehen. Ob diese Einwände mehr als nur eine aufschiebende Wirkung haben, wird sich zeigen. Zwar hat die SPD-Bundestagsfraktion sich teilweise der Kritik angeschlossen, aber die SPD-Länder reagierten auf den Krause-Entwurf mehrheitlich positiv. Und auf die SPD wird es bei der Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat ankommen. Die eigentliche Kontroverse um das geplante „Zubetonieren“ Ostdeutschlands mit Straßen wird jedoch von denjenigen am wenigsten geführt, die das Thema am meisten interessieren sollte: die BürgerInnen in den neuen Bundesländern.

taz: Verkehrsminister Günther Krause hat an einigen Punkten seines Entwurfs zum Beschleunigungsgesetz Abstriche gemacht. Kann man noch gegen diesen Entwurf sein?

Klaus-Dieter Feige: Grundsätzlich kann ich gegen Demokratieabbau sein, nicht gegen Beschleunigung. Wenn ich mir den Gesetzentwurf aber ansehe, bezweifle ich, daß er eine Beschleunigung der Verkehrswegeplanung garantiert. Ich sehe in ihm vielmehr eine Politik der Einschüchterung, eine Attacke auf demokratische Spielregeln. Das mag hart klingen, aber die Verkehrswegeplanung umfaßt fast alle Lebensbereiche: die Umwelt und soziale Fragen. Sie ist ein Musterbeispiel für die Art der politischen Auseinandersetzung.

Krause argumentiert, der Hauptwiderstand gegen diesen Gesetzentwurf sei „westlicher Öko- Imperialismus“. Die Bürger aus den neuen Bundesländern wollten diese Autobahnen. Stimmt das?

Es gibt in der Tat in den neuen Ländern heute noch eine große Akzeptanz für diese Planungen; die liegt manchmal bei 95 Prozent. Der Grund ist: Die meisten Bürger dort verfügen kaum über Informationen über die Auswirkungen von Autobahnen, und wenn, dann nur über Pro-Informationen. Krause macht gerade wieder mit einer neuen Broschüre die „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ schmackhaft, obwohl diese Projekte nirgendwo beschlossen sind.

Also Öko-Imperialismus der Wessis?

Nein, wir haben uns von den West-Ökologen helfen, aber nicht umarmen lassen. Gegenwärtig haben wir aber einen wahnsinnigen Wettlauf mit der Zeit. Im Verkehrsministerium heißt es, bis März nächsten Jahres müßten diese Planungen abgeschlossen sein, weil bis dahin der Widerstand im Osten so stark ist, daß die Planungen nicht mehr durchgehen werden. Deshalb jetzt die Hetze. Und auch Sozialdemokraten lassen sich von Krause einbinden — aus Angst, sonst später der Buhmann zu sein, der den Aufschwung verhindert hat.

Der erste Spatenstich für eine neue Ost-Autobahn ist getan. Wie geht die Sanierung der Verkehrsinfrastruktur voran?

Die Sanierung der Land- und Bundesstraßen ist das wichtigste. Ich glaube, durch Sanierung kann die Durchlässigkeit dieser Straßen in Mecklenburg- Vorpommern bequem auf das Dreifache erhöht werden; ohne Alleen fällen zu müssen und ohne neu zu versiegeln. Ich bestreite nicht, daß es auch zum Neubau von Straßen kommen kann. Das Schlimme aber ist im Augenblick: Es gibt nicht die geringsten Ansätze zur Verkehrsvermeidung. Und da liegt das eigentliche Problem.

Welche anderen Möglichkeiten einer zügigen Verkehrswegeplanung sehen Sie denn?

Ein Gutteil der Planungen läuft behördenintern ab und hat nur wenig mit demokratischen Rechten zu tun. Für diese behördeninternen Prozesse zeigt uns eine Studie aus Niedersachsen die Staus und Schwachstellen. Und davon gibt es eine ganze Menge. Außerdem fehlt eine bedarfsgerechte Planung. Nur langsam entsteht ein Bewußtsein, daß wir ein integriertes Gesamtkonzept brauchen. Selbst die Christdemokraten im Bundestag sprechen von integrierten Verkehrskonzepten. Sie meinen damit aber noch etwas anderes: Gegenwärtig werden die Themen von ihnen immer noch in Umwelt- und Verkehrsfragen gesplittet.

Der sowjetische Militärflugplatz Parchim ist als Großflughafen für Hamburg und Berlin im Gespräch. Die Verbindung soll mit einem Transrapid hergestellt werden. Gefällt Ihnen diese Idee?

Diese Stadt hat schon immer unter dem Militärflughafen der Sowjetarmee gelitten. Das gegenwärtige Projekt ruft bei den Parchimern gemischte Gefühle hervor. Zum einen sehen sie in der Hoffnungslosigkeit des „Aufschwungs Ost“ den Flughafen als einen Strohhalm, an den sie sich klammern können. Zum anderen erkennen eine Menge Leute, die in dieser malerischen Gegend auf Erholung und Kur setzen, daß sie mit einem solchen Projekt empfindlich zurückgeworfen würden.

Hätte der Transrapid denn Nutzen für die Region?

Ich vermute eher, daß es eine besondere taktische Variante von Krause ist, um den Transrapid durchzubringen. Dabei würde eine normale, von mir aus auch eine mit ICE befahrene Schienenstrecke für die Verbindung von Hamburg nach Berlin reichen.

Die neue Begründung von Krause ist doch, daß der Transrapid den schnellen Personenverkehr übernehmen soll und der Gütertransport zwischen Berlin und den norddeutschen Häfen beschleunigt wird.

Das würde aber noch eine ganze Zeit dauern. Wir brauchen dagegen möglichst jetzt schnelle und gleichzeitig dauerhafte Lösungen. Dafür ist der Transrapid noch viel zu sehr in der Experimentierphase.

Während in den westlichen Bundesländern lauthals nach Tempolimits und Verkehrsbegrenzung gerufen wird, ist davon wenig in den neuen Bundesländern zu hören. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Das wird brutal ausgespielt, und der Ausgleich findet nur sehr schleppend statt. Das liegt auch daran, daß die sozialen Möglichkeiten, sich überhaupt mit Umweltpolitik auseinanderzusetzen, in den neuen Ländern stark beschnitten sind. In den alten Länden stehen Umweltprobleme obenan, in den neuen Ländern rangieren sie auf Platz 6 nach den Hauptsorgen. Unsere Chance sind die paar Aufrechten, die Kraft und Zeit haben und sich nicht entmutigen lassen. Letztlich müssen die Informationen so verteilt werden, daß jeder Bürger die Chance hat, sich selbst ein Bild zu machen. Es muß schwieriger werden, Verkehrsprojekte durchzusetzen, die keine Zukunft haben. Interview: Hermann-Josef Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen