INTERVIEW: „Eine unerträgliche rechtliche Situation“
■ Der Rechtsgutachter Stefan Klinski hält das Beschleunigungsgesetz des Verkehrsministers für verfassungswidrig
taz: Am Freitag wird das Beschleunigungsgesetz im Bundesrat debattiert und verabschiedet. Damit ist dann die letzte bürokratische Hürde aus dem Weg geräumt, und Verkehrsminister Krause kann die neuen Bundesländer mit Autobahnen zupflastern. Worin liegen die juristischen Mängel des Gesetzes?
Stefan Klinski: Der planungsrechtliche Kern des Gesetzes ist die Vorschrift zur Plangenehmigung. Diese Vorschrift ermächtigt die Behörde in bestimmten Fällen, auf das Planfeststellungsverfahren bei umweltbedeutsamen Vorhaben zu verzichten. Die Folge ist, daß es kein Anhörungsverfahren der Betroffenen und auch kein Umweltverträglichkeits-Prüfungsverfahren geben würde.
Aber das verfassungsrechtliche Abwägungsgebot fordert, daß in allen konfliktträchtigen Fällen ein Anhörungsverfahren stattfinden muß, um die Rechte der Betroffenen auch schon im Verwaltungsverfahren zu wahren. Dieses Gebot kann aufgrund der unklaren Formulierung im Beschleunigungsgesetz vom Verwaltungsgericht unterlaufen werden. Es entsteht also eine unerträgliche rechtliche Situation.
Gegen welche anderen Paragraphen bestehen noch erhebliche Bedenken?
Ein weiterer Mangel sind Rechtsschutzverkürzungen, die das Gesetz vorsieht. Demnach soll es in allen Planungen nur noch eine gerichtliche Kontrollinstanz geben: das Bundesverwaltungsgericht. Üblich sind zwei Instanzen. Das widerspricht der Rechtsschutzgarantie und dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes, weil die Bürger der ehemaligen DDR massiv schlechter gestellt werden.
Wenn das Gesetz am Freitag im Bundesrat durchkommt, was raten Sie den Betroffenen?
Ich empfehle ihnen, den Rechtsweg zu beschreiten. In jedem Einzelfall müssen die Betroffenen gegen die Planungsmaßnahmen vorgehen. Verfassungs- und EG-rechtliche Zweifel an dem Gesetz werden zunächst vom Verwaltungsgericht geklärt. Sind die Zweifel nicht ausgeräumt, bleibt die Verfassungsbeschwerde.
Das können sowohl einzelne Personen als auch Gemeinden machen?
Wenn sie direkt von dem Autobahnvorhaben betroffen und in ihren subjektiven Rechten verletzt sind, können sowohl Privatpersonen als auch Gemeinden klagen. Direkt vor das Bundesverfassungsgericht kann nur ein Bundesland ziehen.
Der Berliner Senat will sich am Freitag aus der Abstimmung raushalten. Warum?
Die konkreten Beweggründe des Berliner Senats kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, daß die Bedenken der Umweltverbände und die rechtlichen Einwände des Gutachtens gegen das Beschleunigungsgesetz die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus überzeugt haben. Interview: Bärbel Petersen
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