INTERVIEW: „Das Schweigen aufbrechen“
■ Gespräch mit Tjarg Kunstreich, Vorstandsmitglied des Auschwitz-Komitees in der BRD
taz: Der Antrag des „Bündnisses gegen IG Farben“ auf der Hauptversammlung am Freitag in Frankfurt zur Auflösung der Gesellschaft wird mit aller Wahrscheinlichkeit von den Aktionären abgeschmettert werden. Wie soll es danach weitergehen?
Tjarg Kunstreich: Voraussichtlich wird unser Antrag noch nicht einmal zur Befassung zugelassen werden, weil ein Quorum existiert. Erst wer ein Aktienpaket im Wert von einer Million DM hält, ist auf der HV antragsberechtigt. Die Aktionen vor dem Frankfurter Hof und der Antrag sollen vor allem die Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam machen.
Es muß jetzt zu einer politischen Entscheidung über die IG Farben i.A. kommen. Schließlich gilt noch immer das Londoner Abkommen zur Regelung der wirtschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkrieges. Und dort ist die Zerschlagung des IG-Farben-Konzerns manifestiert. IG- Farben-Vorstandsmitglieder wurden als Kriegsverbrecher verurteilt. Und die IG Farben i.A. ist die Nachfolgegesellschaft des alten IG-Farben-Konzerns. Noch heute leistet die IG Farben i.A. Pensionszahlungen an alte IG- Farben-Mitarbeiter.
Die Politiker haben doch jahrzehntelang geschwiegen, obgleich der einzige Geschäftszweck der IG Farben i.A. nach dem Willen der Alliierten die Selbstauflösung der Firma sein sollte. Jetzt will die IG Farben i.A. gar expandieren. Ist es da nicht naiv, auf eine politische Entscheidung, etwa der Bundesregierung, zu setzen. Aufgelöst werden kann die AG doch offenbar nur durch Mehrheitsbeschluß der Aktionäre.
Die IG Farben ist ein Symbol. Der Frankfurter Oberbürgermeister von Schoeler hat sich in unserem Sinne geäußert. Und es gibt auch Stellungnahmen anderer Politiker. Es gibt natürlich auch das Schweigen. Und das kann nur dadurch aufgebrochen werden, daß man versucht, Öffentlichkeit herzustellen.
Es geht dem Auschwitz-Komitee in erster Linie darum, daß den noch lebenden Zwangsarbeitern mit dem Vermögen der IG Farben i.A. ein menschenwürdiger Lebensabend ermöglicht wird. Es geht nicht um eine Entschädigung oder ein Almosen. Das kann es angesichts der Leiden der Zwangsarbeiter nicht geben. Und Tausende sind inzwischen schon gestorben.
Warum schweigen auch die heutigen Repräsentanten der Staaten, die nach dem Krieg die Zerschlagung des Konzerns beschlossen haben, die Franzosen, die Engländer, die Amerikaner?
Dieses Schweigen erklärt sich im wesentlichen daraus, daß der IG-Farben-Konzern lediglich das Pech hatte, der erste Konzern zu sein, den sich die Alliierten damals vornahmen. Es hätten seinerzeit viele andere, ähnliche Zerschlagungsprozesse vorgenommen werden müssen, etwa gegen die Deutsche Bank oder die Dresdner Bank. Auch die Dresdner Bank will für Enteignungen im Osten entschädigt werden oder die Grundstücke und Liegenschaften zurückhaben. Dabei ist bis heute nicht geklärt, ob es sich bei den Investitionen dort um Arisierungsprofite von 1937 gehandelt hat oder nicht. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen, weil man sich politisch für den sofortigen wirtschaftlichen Wiederaufbau der Bundesrepublik entschieden hatte. Würden Washington oder London heute in Sachen IG Farben i.A. intervenieren, würden die Versäumnisse der Alliierten bei den anderen Unternehmen, die gleichfalls die Nazi-Maschinerie in Gang hielten, Diskussionsthema werden. Und das wäre denen doch heute nur peinlich.
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