INTERVIEW: Fast brutaler Eingriff
■ Frauenarzt Horst Theissen zum BGH-Urteil
taz: Haben Sie mit diesem Urteil gerechnet?
Horst Theissen: Natürlich nicht. Alle Welt hat ja gedacht, das ist so eine Provinzposse aus Memmingen. Daß die Bundesrichter in Karlsruhe das auch noch bestätigen, hätte ich nicht angenommen.
Das Urteil zwingt doch Frauen, ihren Arzt nach Strich und Faden zu belügen?
Dann sollten sie aber auch noch zusehen, daß ihre Karteikarte gut in einem Safe versteckt ist. Aber das ist eher noch harmlos. Im Grunde kann es doch jetzt kein Arzt mehr wagen, eine Indikation auszustellen. Der BGH hat doch bestätigt, daß eine soziale Indikation auch dann nicht gegeben ist, wenn eine Frau mit sechs Kindern total überfordert ist, wenn ein Mann seine 17jährige schwangere Freundin verprügelt und wenn eine 45jährige Frau sich zu alt für ein Kind fühlt.
Was raten Sie einem Arzt, dessen Patientin sich wegen der abgelehnten Indikation und der für sie unlösbaren Konflikte umbringt?
Der hat immerhin die Gewähr, nicht Gefahr zu laufen, daß da ein Herr Krause auftaucht [der Staatsanwalt in Memmingen, die Red.]. Er würde zwar medizinisch und als Arzt verantwortungslos gehandelt haben, aber er kommt nicht vor Gericht.
Ihre Anwälte sagten am Dienstag, Sie wollen den Weg der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil gehen.
Ja, das müssen wir machen. Das Urteil ist ein fast brutaler Eingriff in die ärztliche Freiheit. Das können wir doch alles nicht so stehenlassen.
Was würden Sie Ihren Kollegen derzeit raten?
Das ist schwierig. Da wird man mit aller Wut ja fast zum Überzeugungstäter. Ich persönlich kann nur sagen, daß sie weiter Indikationen stellen sollen.
Sie praktizieren nicht mehr als Frauenarzt. Ist das ein Rückzug?
Nein. Ich habe ja auch schon vorher mit der Naturheilkunde gearbeitet, zum Beispiel bei Hausgeburten.
Im neuen Landgerichtsverfahren in Augsburg wird zur Neufestsetzung der Strafe auch noch einmal eine Entscheidung über Ihr dreijähriges Berufsverbot kommen, das vom Landgericht München bereits 1989 aufgehoben worden war.
Ja, es könnte tatsächlich sein, daß auch das nachträglich wieder aktuell wird. Das wäre dann, haben mir Juristen gesagt, mindestens für ein Jahr. Interview: Heide Platen
Pro familia hat ein Spendenkonto eingerichtet: Stichwort „Revision Dr. Theissen“, Hamburger Sparkasse, Kto.-Nr. 1013/216880, BLZ200 50 550
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen