INTERVIEW: „Absatzmengen, die in Europa unvorstellbar sind“
■ Der außenpolitische Sprecher der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Jannis Sakellariou (SPD), zu dem Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in Europa und dem Traum von neuen Märkten
Sakellariou ist Berichterstatter für die Menschenrechtssituation in Tibet. Im vergangenen Jahr wurde ihm deshalb von der chinesischen Regierung die Einreise nach China verweigert.
taz: Der „Schlächter vom Platz des Himmlischen Friedens“ kommt nach Europa. Er wird heute in Italien, in den nächsten Tagen auch in der Schweiz und in Portugal empfangen. Ist die chinesische Regierung wieder hoffähig geworden?
Jannis Sakellariou: Da muß man unterscheiden. Auf der bilateralen Ebene kann natürlich jedes EG- Mitgliedsland Beziehungen pflegen, mit wem es will. Die Einladungen nach Italien und Portugal sind, das möchte ich ganz klar sagen, nicht im Auftrag der EG ergangen. Das ist die eine Ebene. Andererseits dürfen wir uns natürlich nichts vormachen: Seit China dem Westen die Intervention am Golf ermöglichte, gewinnt es an Ansehen — zwar nicht formal, es hat sich nichts an den Entschließungen beispielsweise des EP geändert. Aber die Außenminister der Mitgliedsstaaten geben sich in Peking die Klinke in die Hand.
Bedeutet also der Empfang Li Pengs, zumal von der portugiesischen Regierung, die gerade die EG-Präsidentschaft übernommen hat, eine Verletzung der Gemeinschaftsbeschlüsse?
Dazu müßte man fragen, welche faktische Gesetzeskraft die Beschlüsse des EP haben. Natürlich keine. Dies sind Empfehlungen, die verletzt werden, weil wir uns mit unserer Forderung nicht nur an die EG, sondern auch an die einzelnen Mitgliedsstaaten wenden. Wir erwarten, daß sie ihre Beziehungen zu China auf Null setzen, solange dort die Menschenrechte weiter verletzt werden und es keine Anzeichen für eine Demokratisierung gibt.
Die Beschlüsse des EP wurden doch von den anderen EG-Institutionen übernommen..
Auf Empfehlung des EP sollen die Beziehungen der EG zu China wegen der ständigen Verletzung der Menschenrechte und fehlenden Demokratisierung auf ein Minimum gesetzt werden. Diese Position haben EG-Kommission und Ministerrat übernommen. Nur halten sich die einzelnen Mitgliedsstaaten wie zum Beispiel Großbritannien nicht daran.
Warum unterlaufen die Mitgliedsregierungen ihre eigenen Beschlüsse?
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. John Major macht sich Sorgen um die Sicherheit der britischen Investitionen in China. Kopfzerbrechen bereitet ihm auch die Kronkolonie Hongkong, die ja demnächst an China zurückgegeben werden muß. Anders liegt das Interesse Italiens und der anderen Mitgliedsländer. Sie wollen diesen riesigen Markt von eineinhalb Milliarden Menschen nutzen. Es ist bekannt, daß Fiat in einer noch nie dagewesenen Dimension in China investieren möchte. Für billig produzierte Kleinwagen erhofft sich die Autoindustrie Absatzquantitäten, die im europäischen Maßstab unvorstellbar sind. Es hat wiederholt versteckte Interventionen aus solchen Kreisen gegeben, um die Position des EP zu lockern — nicht von Herrn Agnelli persönlich, aber aus seinem Umkreis. Dies war beispielsweise der Fall, als wir das Hearing mit dem im Exil lebenden religiösen Oberhaupt Tibets, dem Dalaih Lama, letztes Jahr vorbereiteten. Das Hearing sollte nicht stattfinden. Es hat aber stattgefunden.
Und die portugiesische Regierung? Wurde sie von den großen EG-Ländern vorgeschickt, weil sie sich in der Öffentlichkeit keine Blöße geben wollten?
Ich weiß es nicht. Bei den Großen gibt es bestimmt eine Zurückhaltung gegenüber den Umarmungswünschen des Herrn Li Peng. Aber für die Regierung des kleinen Portugals ist die Versuchung natürlich groß. Allerdings wehre ich mich dagegen, daß die Entscheidung des Staates Portugal mit einem Wunsch der EG verwechselt wird. Denn die EG kann nur ihre Politik ändern, wenn die entsprechenden Organe, das EP, die Kommission und der Ministerrat, sich entsprechend äußern. Dazu müßte man jedoch erst bei uns einen Antrag stellen, in dem es beispielsweise heißt: Es ist alles okay, die Demokratie ist in China ausgebrochen, und amnesty international wird jetzt seinen Sitz nach Peking verlegen. Wenn dies so wäre, wäre ich der Erste, der unterschreibt, daß wir eine neue Politik gegenüber China brauchen.
Wenn also mit dem Empfang Li Pengs die Beschlüsse nicht nur des EP, sondern auch der Kommission und des Ministerrates unterlaufen werden, gibt es dann Pläne im Parlament, in ihrer Fraktion oder von einzelnen Abgeordneten, dagegen zu protestieren?
Eigentlich nicht, denn wenn ich jetzt versuchen würde, die Präsidentschaft zu fragen, ob sie nicht der Meinung sei, die Beschlußlage verletzt zu haben, in dem sie Herrn Li Peng eingeladen hat. Dann heißt es ganz lapidar: Die Präsidentschaft hat Herrn Li Peng nicht eingeladen. Punkt. Damit haben sie sogar noch recht. Außerdem: Die Verletzung von Gemeinschaftsbeschlüssen haben nicht die Portugiesen entdeckt, wie das Beispiel der vorgezogenen Anerkennung der zwei jugoslawischen Republiken Kroatien und Serbien durch die Bundesregierung zeigt. Interview: Michael Fischer
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