INTERVIEW: „Es wäre eine Schande, wenn unser Erfahrungsschatz jetzt nicht genutzt wird“
■ Claus Berke, Präsident des Deutschen Atomforums, zur Nutzung von waffenfähigem Material in AKW-Brennelementen und der Gefahr von „Atom-Söldnern“ nach dem Ende der UdSSR
taz: Herr Berke, Sie werfen dem hessischen Umweltminister Fischer vor, er behindere den weltweiten atomaren Abrüstungsprozeß. Wie meinen Sie das?
Claus Berke: Zur Vernichtung des Plutoniums aus Atomsprengköpfen gibt es nur den Weg der Verbrennung in Reaktoren. Ein heute schon gangbarer Weg wäre, die etwa 400 Leichtwasserreaktoren auf der Welt mit sogenannten Mischoxyd-Brennelementen zu bestücken. Das sind Brennelemente mit einem Gemisch aus Uran- und Plutoniumoxyden. Man könnte in solche Brennelemente auch Waffenplutonium einbringen. Wir Deutschen haben seit 20 Jahren Erfahrungen mit Mischoxyd-Elementen gesammelt. Es wäre eine Schande, wenn dieser Erfahrungsschatz jetzt nicht genutzt wird. Fischer hat sich offensichtlich vorgenommen, die Mischoxyd-Produktion in Hanau zu einem Ende zu bringen. Und das ist für die Lösung des Plutonium-Problems eben hinderlich.
Dann soll eines Tages in bundesdeutschen Atomkraftwerken Waffenplutonium aus der früheren Sowjetunion „verbrannt“ werden?
Nein, ich nehme an, daß sich das zwischen den Atommächten abspielen wird. Vielleicht in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion selbst. Es gab bei der Firma Siemens bereits eine Anfrage aus der Ukraine, in der es um die Möglichkeit eines Lizenzvertrages zur Mischoxyd-Produktion in diesem Land ging.
Sowjetisches Waffenplutonium kommt also nicht nach Hanau zur Verarbeitung für MOX-Elemente?
Das nehme ich nicht an. Es geht darum, daß wir unser gewachsenes Know-how in diesem Zusammenhang in irgendeiner Weise einbringen, vermutlich ohne uns direkt zu beteiligen. Das ist nichts für uns.
Tatsächlich geht es ja nicht nur um das Material aus den Sprengköpfen, sondern auch um das in der Ex- UdSSR angesammelte Know-how. Was schlagen Sie vor, damit „Atom-Söldner“ sich nicht irgendwelchen machthungrigen Potentaten anschließen?
Sicher ist es notwendig, „Atom-Söldnertum“ unter Strafe zu stellen, wie es in Deutschland seit dem vergangenen Sommer der Fall ist. Man muß sich darüber hinaus um die Leute kümmern, die nun in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion arbeitslos werden. Es gibt von Herrn Genscher und auch von der amerikanischen Seite die Idee eines Fonds oder einer Stiftung, über die solche Leute vermittelt werden können.
Die Frage der „Atom-Söldner“ stellt sich aber auch im zivilen Bereich, in dem ebenfalls alles auseinanderbricht.
Wer nur im zivilen Bereich gearbeitet hat, verfügt nicht über das Know-how, hinter dem bestimmte Staaten her sind. Da kommen nur die Spezialisten in Frage, die eben Bomben gebaut haben.
Daß zivile Ingenieure durchaus für den militärischen Bereich „mißbraucht“ werden können, haben wir gerade im Irak gesehen. Dort ist ein ziviles Kernenergieprogramm umstandslos in ein militärisches überführt worden.
Das stimmt so nicht. Der Aufbau eines Programmes zur Urananreicherung im Irak, mit dem Ziel Atombomben zu bauen, ist vielmehr in extrem geheimer Form erfolgt. Das konnte nur mit Hilfe von Know-how passieren, das aus dem Westen stammt.
Sie meinen Experten aus dem militärischen Bereich?
Eine Schlüsselrolle spielten sicherlich Irakis, die an westlichen Universitäten ausgebildet worden sind. Die Anreicherung selbst ist eine für Kernkraftwerke entwickelte Technik, mit deren Hilfe Uran als Brennstoff für die gängigen Leichtwasserreaktoren angereichert wird. Aber im Irak sollte, was ja erst jetzt allmählich bekannt wird, die Zentrifugentechnik eingesetzt werden, um die Urananreicherung bis auf „waffengrädiges“ Niveau hochzutreiben.
Stößt angesichts solcher Proliferationsrisiken der atomare Abrüstungsprozeß nicht ganz grundsätzlich an Grenzen, solange die zivile Nutzung der Atomenergie in mehreren Dutzend Ländern dieser Erde weitergeht?
Das sehe ich nicht so. Wenn Sie ein Kernkraftwerk bauen, ist das Know-how, das Sie daraus entwickeln, nicht geeignet, um Bombenbrennstoff zu produzieren.
Aber das Beispiel Irak ist real. Und Sie sagen auch von der Zentrifugentechnik, sie sei grundsätzlich ziviler Natur...
Das ist ein Sonderfall. Normalerweise versteht man unter der zivilen Anwendung der Kernkraftwerk-Technik das, was zum Bau und Betrieb der Anlagen nötig ist.
Halten Sie die Überwachung und Kontrolle der zivilen Anlagen denn für ausreichend?
Ganz sicher die Kontrollen bei Kraftwerken. Bei der Wiederaufarbeitung — das ist ein in diesem Zusammenhang sensibler Prozeß — ist die Überwachung etwa im französischen Cap de la Hague ebenfalls ausreichend. Das Problem ist im übrigen nicht das Material, sondern es sind die Menschen.
Ein aktuelles Beispiel: In der Wiederaufarbeitungsanlage im schottischen Dounreay sind kürzlich 10 kg über 60 Prozent angereichertes Uran verschwunden.
Bis jetzt weiß man, wenn ich richtig unterrichtet bin, noch nicht, ob es sich dabei um einen Buchungsfehler, eine Unvollständigkeit in der Inventur oder um ein tatsächliches Verschwinden handelt.
Ziel ist es doch gerade, eine solche Material-Abzweigung rechtzeitig zu erkennen.
Das Ganze hat sich im Sommer abgespielt. Und jetzt haben es die Inspektoren bereits festgestellt. Die Erkennungszeiten sind nach Meinung der Fachleute hinreichend kurz.
Aber die zehn Kilogramm Uran sind verschwunden.
Da müssen wir die weiteren Nachforschungen abwarten. Wenn Sie zu Hause einen Kassensturz machen, und es fehlen irgendwo 10 Pfennig, dann wissen Sie auch, wie lange das manchmal dauert, bis die sich wiederfinden.
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