INTERVIEW: Ablehnung nicht aus sozialdemokratischer Parteiräson
■ Klaus-Dieter Kühbacher, SPD-Finanzminister in Brandenburg, meint, die SPD lüge sich mit ihrer Ablehnung selbst in die Tasche
taz: Herr Kühbacher, was muß passieren, damit Sie Waigels Steuerpaket zustimmen?
Kühbacher: Morgen ist Vermittlungsausschuß. Wir haben da zu den unterschiedlichsten Fragen Pakete zu schnüren: Kindergeld, Unternehmenssteuerentlastung, Gemeindeverkehrsfinanzierung, Weiterführung des „Fonds deutsche Einheit“... Wenn das alles zur Zufriedenheit der Beteiligten geklärt ist, steht die Frage der Refinanzierung an. Ich werd mich doch jetzt nicht öffentlich festlegen, was wir genau machen!
Sie haben am Wochenende mit Blick auf die EG-Beschlüsse gesagt, durch ein Blockieren der Mehrwertsteuererhöhung heftet sich die SPD eine Steuerlüge ans Bein..
Wenn die SPD weiter prononciert Nein sagt zur Mehrwertsteuer und dann im Mai wegen der europäischen Erfordernisse der Mehrwertsteuer doch zustimmt und dem staunenden Bürger erklärt, da sei eine neue Lage entstanden — dann hat man allerdings die Steuerlüge am Bein.
Aber die EG-Vereinbarungen wurden ja schon im letzten Sommer getroffen.
Deswegen staune ich auch, daß sich einige von uns so weit vorgewagt haben. Ich bin der Meinung, daß sich die SPD auf Bundesebene überhaupt nicht erlauben kann, einheitliches europäisches Recht mit der Sperrmöglichkeit der Länder im Bundesrat zu verhindern. Nur durch eine Sperrsituation aller SPD-regierten Länder könnten wir ja die Mehrwertsteuer verhindern. Ein einheitliches europäisches Recht, wenn es dann im April durch einen Ministerratsbeschluß zum einheitlichen Recht geworden ist, kann gar nicht mehr gesperrt werden.
Engholm und Lafontaine haben sich folglich zu weit aus dem Fenster gehängt?
Ich würde das anders sagen. Ich habe mit Sorge betrachtet, daß im November die Bundestagsfraktion ihre Position: die Verlängerung des Solidarbeitrages anstelle der Mehrwertsteuer, nicht durchsetzen konnte. Durch die Fraktionsführung ist der Engholm damals da hineingezogen und zu öffentlichen Äußerungen gedrängt worden. Diese Situation wäre für die SPD nicht enstanden, wenn man die Datenlage und das Europapaket, das ja seit fünf Jahren verhandelt wird, etwas genauer betrachtet und auch den Rat der SPD-geführten Finanzministerien bedacht hätte.
Warum haben denn Sie nicht früher auf das EG-Paket hingewiesen?
Das haben wir ja, aber nicht über die Zeitungen. In der Präsidiumssitzung, als das zum ersten Mal anstand, hat ein sozialdemokratischer Finanzminister das getan. Aber das Präsidium hat gemeint, aus der grundsätzlichen Ablehnung der SPD gegenüber der Mehrwertsteuer und einer stärkeren Favorisierung einer Einkommenssteuer eher diese Linie zu verfolgen. Es ist ja auch legitim für einen Parteivorsitzenden zu sagen: Bitteschön, die Bundes-SPD möchte das so lieber. Aber man darf es nie so weit bringen, daß man damit alle Landesregierungen binden will — auch solche, die in Koalitionen oder in anderen Zugzwängen sind.
Was hat Waigel Ihnen denn bisher angeboten?
Mit mir hat Waigel noch überhaupt keine Gespräche geführt. Die Länderdelegationen von CDU-Seite haben von Waigel Angebote bekommen, was die Bundesregierung meint, was der Bundestag akzeptieren könnte. Der Bund hat die Absicht, seinen Anteil (65 Prozent) an der Mehrwertsteuer in den Osten zu lenken. Ich denke, auf der Basis kann man verhandeln. Bestimmte Konditionen sind da aber noch nicht drin. Die meisten vergessen ja, daß das Steuerpaket auch von CDU- regierten Ländern angefochten wurde und daß es um viel mehr geht als um die Mehrwertsteuer.
Die SPD-Führung lehnt die Mehrwertsteuer auch mit dem Argument ab, daß so die Inflation und die Lohnverhandlungen angeheizt werden...
Die Lohnrunde 1992 hat nichts mit einer Steuererhöhung 1993 zu tun. Alle Fachleute wissen, daß sich die Mehrwertsteuer erst innerhalb von einem Jahr in Preissteigerungen umsetzt. Und die Lohnrunde wird von den bisherigen Tarifabschlüssen, z.B. von dem IGM-Abschluß, bestimmt.
Wie hoch sind die Einnahmen, die Ihr Land durch eine Mehrwertsteuererhöhung bekäme?
Das können Sie vergessen: Ein Prozent bringen insgesamt 13 bis 14 Milliarden Mark. Das wird aufgeteilt: Viereinhalb Milliarden bekommen die Länder, und davon bekommen wir 3,5 Prozent. Das ist eine Größenordnung von 130 bis 140 Millionen Mark für Brandenburg. Aber das ist ja auch nicht unsere Interessenlage; wir wollen eine Weiterführung des „Fonds deutsche Einheit“. Der Solidarbeitrag wäre der richtige Weg dafür gewesen, aber die Bundesregierung hat sich ja festgelegt, das nur für ein Jahr zu tun. Das ist das eigentliche politische Problem. Das sagen ja sogar CDU-Abgeordnete. Wir brauchen Planungssicherheit. Der Bund will uns das geben, und fordert dafür seinen Preis. Interview: Annette Jensen
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