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INTERVIEWWenn es nur die Mafia wäre...“

■ Die „Ehrenwerte Gesellschaft“ liefert nur einen Teil der Schwarzgelder in den Osten/ Interview mit Pino Arlacchi

Arlacchi, 40, ist Professor für Soziologie an der Universität Florenz, Präsident mehrerer internationaler Organisationen zum Kampf gegen organisierte Kriminalität und europaweit der bekannteste Mafia-Experte. Sein Buch „Mafiose Ethik und Geist des Kapitalismus“ gehört zu den wenigen empirischen Werken über kriminelle Großorganisationen.

taz: Pino Arlacchi, vor mehr als zwei Jahren, als die Mauer noch stand, haben Sie in einem Interview mit der taz vor dem Aufbruch der Mafia in den Osten gewarnt. Mittlerweile klagen alle Länder dort über nicht mehr zu bändigende organisiert-kriminelle Erscheinungen. Sehen Sie sich bestätigt?

Arlacchi: Die Mafia folgt immer den Wegen des großen Geldes. Daß die dorthin ziehen, wo Investitionen geplant sind, war ausgemacht.

Einige Berichte, so auch von der stets für Sensationsgeschichten aus dem Osten bekannten Amerikanerin Claire Sterling, sehen die Mafia ganze Länder des ehemaligen Ostblocks kaufen.

Das ist barer Unsinn. Daß die Mafia dort Geld anlegt oder im Gegenzug gegen Güter wie Kunstgegenstände oder Waffen Kapitalien hineinschmuggelt, ist unbestreitbar — doch was in den Osten alles an illegalem Geld hineinkommt, ist längst nicht nur mafios. Mafia-Kapital ist nicht einmal der größte Teil dessen, was da zirkuliert. Man kann sagen, wenn es doch nur die Mafia wäre...

Wer wäscht da noch sein Geld mit?

Es sind auch nicht nur Geldwäscher, obwohl auch diese einen Anteil am Transfer haben. Vor allem operieren da internationale Finanzgruppen, viele davon illegal oder regelrecht kriminell. Geschäftemacher wie die Leute von der ehemaligen Geheimloge „Propaganda 2“, die mit Top-Finanziers auch aus der scheinbar „sauberen“ Bankerszene ebenso wie mit transnationalen Maklern von Waffen und embargobelegten Waren zusammenarbeiten, beliefern den illegalen Markt der ehemaligen Ostblockländer ebenso, wie sie von dort verbotene Güter ausführen.

In Italien sind vor kurzem offenbar mit Wissen und Hilfe hoher Entscheidungsträger in amerikanischen Tabakkonzernen aufgebaute Schmuggelringe aufgeflogen. Sind derlei Organisationen in den kaum geschützten Ländern des zerfallenden Ostens denkbar?

Ohne weiteres. Man muß sich ja auch darüber klar sein, daß so was die Verbraucherpreise senkt, weil es am Zoll und den Steuern vorbeigeht; nur: der Staat geht eben so auch pleite. Der sucht nun seinerseits nach Geld...

Welche Güter bieten denn die doch mittlerweile völlig ausgepowerten Länder?

Die haben noch allerhand, was vielleicht nicht uns, aber anderen Ländern Appetit macht. Etwa das Know-how für Atombomben oder anderes Kriegsgerät: In Como in Oberitalien zum Beispiel wurde, nach einem Hinweis aus Ungarn, kürzlich ein schwunghafter Handel mit Teilen von H-Bomben entdeckt, in den mehrere Dutzend Diplomaten, Geschäftemacher, Finanziers verwickelt waren. Die Dunkelmänner aus den ehemaligen Ostblockländern rennen den Leuten mit Geld und wenig Skrupeln im Westen ja regelrecht das Haus ein, um ihre Waren loszuwerden. Während des Golfkrieges und dann während des gescheiterten Staatsstreichs im August verschwanden mehrere hundert Tonnen Gold aus den Schatzkammern der UdSSR — ohne je auf den internationalen Märkten aufzutauchen.

Läßt sich der Überschwemmung mit Geld aus trüben Quellen denn noch entgegensteuern?

Ich bin skeptisch. Die Länder des zerfallenden Ostens brauchen immens viel Geld, das sie legal kaum auftreiben. Die Regierungen, nunmehr demokratisch, sind aber darauf angewiesen, wenn sie Wohlstand schaffen und damit Wahlen gewinnen wollen. Da kann die Hemmschwelle auch bei den demokratisch legitimierten Stellen, Geld auch aus trüben Quellen anzunehmen, schnell sinken. Das Gespräch führte Werner Raith

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