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INTERVIEWMielke und Just sind zwei ganz verschiedene Fälle

■ Wolfgang Lehmann, kommissarischer Leiter der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder, zum Fall des Gustav Just

taz: Wann hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den jetzigen Alterspräsidenten des brandenburgischen Landtags eingeleitet?

Wolfgang Lehman: Die Unterlagen sind hier am 9. November 1990 eingegangen, und das Verfahren ist zunächst vom Generalstaatsanwalt der DDR eingeleitet worden. Herr Just wurde 1957 wegen Boykotthetze verurteilt. Im Urteil wird erwähnt, daß er an der Erschießung von sechs Juden in der Ukraine beteiligt gewesen sei. Er ist aber nicht deswegen verurteilt worden, sondern nur wegen politischer Delikte gegen das SED-Regime. Noch vor dem 3.10.1990 wurde ein Kassationsverfahren zur Aufhebung dieses Urteils eingeleitet. Das Urteil ist aufgehoben worden und das Kassationsgericht hat einen Vermerk gemacht, aus dem Urteil ergebe sich eine Beteiligung an der Erschießung. Es könne aber nicht beurteilt werden, inwieweit er dafür schon abgeurteilt worden sei und man bäte um Prüfung.

Dieser Vorgang wurde dem damaligen Staatsanwalt der DDR zugeleitet, der daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen dieser Tötungsdelikte einleitete. Dann wurde die Behörde des Generalstaatsanwaltes aufgelöst, Abwicklungsbehörde wurde der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der hat am 31. Oktober 1991 die Vorgänge an die Bezirksstaatsanwaltschaft Frankfurt/Oder übersandt. Dann sind die Ermittlungen aufgenommen worden. Da Gustav Just mittlerweile Mitglied des Landtags Brandenburg geworden war, hat sich die Bezirksstaatsanwaltschaft am 7. März 1991 über das Justizministerium an den Landtag gewendet mit der Bitte, die Immunität des Abgeordneten aufzuheben. Das Justizministerium hat der Bezirksstaatsanwalt am 30. April 1991 mitgeteilt, daß man davon abgesehen habe, an den Landtag heranzutreten, da bereits Verjährung eingetreten sei.

Wieso?

Es kam rechtlich bei Just nur Beihilfe zum Mord in Betracht. Mord wäre es nur gewesen, wenn er aus niederen Beweggründen gehandelt hätte. Das ist die gängige Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs. Wer in Ausübung von Befehlen in der NS-Hierarchie handelte, nicht selbst Rassenhaß empfand, sondern meinte, er könne sich dem Befehl nicht widersetzen, für den kam von vornherein nur Beihilfe in Betracht. Folglich ist die Tat nach 15 Jahren verjährt. Zwar hat sich die Gesetzgebung zur Verjährungsfrage mehrfach verändert, die Tat war aber bereits verjährt, bevor diese Änderungen eintraten, und zwar Anfang der 60er Jahre. Das Ermittlungsverfahren mußte deshalb eingestellt werden.

Nun hat sich Herr Just, wie es heißt, freiwillig zu dieser Exekution gemeldet. Ist das dann nicht anders zu bewerten?

Das hat er nicht zugegeben, das stimmt nicht. In seinen Tagebuchaufzeichnungen, die vorliegen, hat er geschrieben: Ja, es muß sein, auch wenn es ein Verbrechen ist. Von freiwillig kann nicht die Rede sein und auch wenn das so wäre, müßte er selbst einen niederen Beweggrund haben und das ist ihm nicht nachzuweisen, auch wenn er sich freiwillig gemeldet hätte. Das war ja eine Kriegshandlung. Selbst wenn man ihm unterstellen würde, daß er aus Rassenhaß gehandelt hätte, ist Verjährung eingetreten.

Warum wird gegen Mielke prozessiert und gegen Just nicht?

Das ist ja etwas anderes, bei Mielke kommt ja vollendeter Mord in Betracht, der noch zu keiner Zeit verjährt war. Da ist die Verjährung unterbrochen worden, das war bei Just nicht der Fall. Es wäre denkbar, Herrn Just heute zu verfolgen, wenn die Verjährung entsprechend unterbrochen worden wäre, das ist aber nicht der Fall. Denn die DDR-Behörden haben niemals ein Ermittlungsverfahren wegen dieser Tötungsdelikte eingeleitet, obwohl das in dem Verfahren zur Sprache gekommen ist. Das scheint einer Praxis der DDR- Rechtssprechung entsprochen zu haben. Wenn Leute aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurden, wie das bei Just der Fall war, verfolgten sie ihn insoweit nicht als eine sowjetische Zuständigkeit zur Strafverfolgung gegeben war und auch hätte ausgeführt werden können, wie das bei Just gewesen wäre. Dies geschah wohl aus Rücksichtnahme gegenüber den Sowjets. Man wollte offenbar die Sowjets nicht in dem Sinne bloßstellen, daß sie übersehen hätten, jemanden zu verfolgen. Deshalb ist nie ermittelt worden, so daß die Verjährung nie unterbrochen worden ist.

In der DDR sind Verbrechen aus der NS-Zeit in der Regel sehr hart verfolgt worden. Wie ist zu erklären, daß dies gerade im Fall Just nicht geschehen ist?

Ich weiß nicht warum, mich hat das auch sehr verwundert. Aus einem Vermerk des Generalstaatsanwalts der DDR von 1990 geht hervor, daß sie sich auch darüber wunderten, daß da nichts passiert war. Das ist auch in der Tat verwunderlich — man wollte dem Mann damals ja wirklich ans Leder —, daß man sich darauf beschränkte, ihn wegen Boykotthetze zu zehn Jahren zu verurteilen, anstatt wegen Mordes zu lebenslänglich, was ja der Praxis der DDR-Gerichte entsprochen hätte. Aber das war eben doch mehr oder weniger eine Willkürjustiz.

Ist denkbar, daß jetzt noch einmal ein Ermittlungsverfahren in Gang kommt?

Nein, weil die Tat verjährt ist.

Hat die Justiz versagt?

Die DDR-Justiz hat versagt. Sie hätte das Delikt, das ihr 1957 ja offensichtlich bekannt wurde, verfolgen müssen und hat das aus mir unerklärlichen Gründen nicht getan. Interview: Dorothee Winden

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