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INTERVIEW»Der Anschlag hat die Gewaltbereitschaft gefördert«

■ Kriminalhauptkommissar Wolfgang Zirk zur Jugendgruppengewalt: Zunahme der Gewalt zu Hitlers Geburtstag befürchtet

taz: Gibt es Bestrebungen von Jugendgruppen, gemeinsam gegen Rechtsradikale vorzugehen?

Wolfgang Zirk: Es hat immer wieder Aufrufe von der antifaschistischen Jugendfront und der »Antifaschist Genclik« auf der türkischen Seite gegeben. Vor ein paar Jahren war der Tenor noch »bildet Banden», heute heißt es »Banden vereinigt euch«.

Unlängst gab es ein Treffen zwischen den Tiergartener »Bulldogs«, Weddinger »Black Phanters«, Neuköllner »Sioux«, Schöneberger »Barbaren«, Kreuzberger »36 Boys« — und wie sie alle heißen— , bei dem der Gruppen-Zusammenschluß besiegelt werden sollte. Was ist daraus geworden?

Das Treffen fand am 14. März statt, die Angaben über die Teilnehmerzahlen schwankten zwischen 300 und 1000. So wie ich es einschätze, ist es zu dem Zusammenschluß jedoch nicht gekommen. Man hat sich erst mal beschnuppert und Kontakt aufgenommen. Daß es zu keiner Vereinigung gekommen ist, hat verschiedene Gründe: Zum einen tragen manche jungen Ausländergruppen untereinander Revierkämpfe aus, außerdem ist man räumlich weit von einander entfernt, wenn man in Spandau oder Kreuzberg wohnt. Hinzu kommt, daß die unterschiedlichen Probleme nicht unbedingt dazu zwingen, zusammen zu gehen.

Glauben Sie, daß es am 20. April, dem Geburtstag von Hitler, wieder zu Gewaltaktionen kommt? Die antifaschistischen und antirassistischen Gruppen rufen am 18. April in Straußberg zu einer Demo auf, die den Auftakt einer Aktionswoche bilden soll.

Ich fürchte, daß es zu mehr Gewalt kommen könnte, weil hinter den Orientierungen der Jugendlichen ja auch Ängste stecken, und manche die Aggressionen, die hinter diesen Ängsten stecken, ausleben wollen. Ich glaube, daß die Gruppen mehr im kleinen Rahmen autonom agieren werden. Bekanntlich hat das schon viele schlimme Folgen gehabt. Ich möchte hier nur an den Tod von Mete Eksi im November vergangenen Jahres erinnern, der dann zu der Racheaktion gegen Andreas K. führte, der von jungen Türken auf offener Straße mit sechs Messerstichen niedergestreckt wurde. Ich glaube, daß hier die Überzeugung herrscht, Hauptsache es trifft einen von der anderen Seite. Das schlimme ist, daß in der Jugendlichen-Szene die Ängste mit Desinformation weiter geschürt und damit Emotionen geweckt werden, die zur Eskalation beitragen.

Was sind das für Desinformationen?

Von den rechten Gruppen haben wir nicht viele Flugblätter, weil diese wegen der Strafbarkeit nach Paragraph 86a unter Verschluß gehalten werden. Was mich an der Antifa-Jugendfront erheblich stört, ist, daß sie mit Desinformation arbeiten. Zu dem Fall einer jungen Koreanerin, die in Zehlendorf durch eine Sexualstraftat ums Leben kam, heißt es in einem Flugblatt: »Eine junge Koreanerin wurde von Nazis erschlagen«. Nazi ist ja heute ein Synomym für Ausländerfeind. Mit solchen Behauptungen wird die Stimmung angeheizt.

Wie stehen die antifaschistischen Jugendgruppen zu dem Anschlag im China-Restaurant, bei dem ein Mitglied der rechtsextremen »Deutschen Liga« erstochen wurde?

Ich bin seitdem noch nicht wieder mit so vielen Jugendlichen zusammengekommen, aber eine gewisse Nachdenklichkeit hat schon eingesetzt. Wenn darüber diskutiert wird, sehen junge Menschen aller Weltanschauungen und ethnischen Gruppen die Tat als verwerflich an. Ich habe bisher in keiner Weise eine Rechtfertigung gehört.

Rüsten die rechtsextremen Jugendlichen seit dem Anschlag auf?

Um dazu etwas sagen zu können, ist es noch zu früh. Aus meiner persönlichen Einschätzung heraus würde ich aber vermuten, daß diese Tat die Gewaltbereitschaft gefördert hat.

Mit welchen Gefühlen sehen Sie den Tagen um den 20. April entgegen?

Ich sehe diesen Tagen mit einem naturgemäßen Unbehagen entgegen. Die Polizei hat ja hinterher Rede und Antwort zu stehen: Warum habt ihr nicht genug gemacht, oder warum habt ihr soviel gemacht. Das heißt, wir müssen das richtige Maß finden. Die Rechtsorientierten werden wohl wieder einen Kranz niederlegen und dann in irgendwelchen Kellerlöchern das machen, was sie »Papas Geburtstag feiern« nennen. Von linksorientierten Menschen habe ich gehört, daß sie die Stadtteile, die sie für sich beanspruchen, frei von Rechten halten wollen. Es wäre natürlich denkbar, daß jeder die Grenzen des anderen respektiert. Aber ich befürchte, daß einige diese Grenzen gewaltsam überschreiten wollen. Interview: Plutonia Plarre

Kriminalhauptkommissar Wolfgang Zirk ist Mitarbeiter der Polizei-AG Jugendgruppengewalt.

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