INTERVIEW: Wenn der Staat die Drogen abgibt, würde die Kriminalität entfallen
■ Der Dortmunder Polizeipräsident Wolfgang Schulz plädiert für eine kontrollierte Freigabe harter Drogen/ Polizeiliche Mittel sind „ausgereizt“
taz: Der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes (BKA) plädierte erst jüngst wieder für „ein klares Verbot“ harter und weicher Drogen. Die Forderung nach Freigabe, so sagt etwa die NRW-CDU, komme einer „Kapitulation vor den Drogenkartellen“ gleich. Kapitulieren Sie in Dortmund vor der Drogen-Mafia?
Wolfgang Schulz: Ich bin zwar nicht für die vollständige Freigabe, aber für die kontrollierte Abgabe von Drogen an die Menschen, die die Drogen brauchen. Das ist keine Kapitulation vor der Drogenentwicklung, sondern ich würde umgekehrt sagen, daß diejenigen, die so weiter machen wollen wie bisher, vor dem Problem kapitulieren. Aus einer im letzten Jahr durch das BKA erstellten Untersuchung geht hervor, daß jeder Heroinsüchtige im Schnitt pro Tag etwa vier Straftaten — davon zwei Vermögensstraftaten — begeht. Wir haben in Dortmund etwa 1.400 Menschen, die von harten Drogen abhängig sind. Rechnet man die BKA-Ergebnisse auf Dortmund um, dann kommen wir auf 2.800 bis 3.000 Vermögensstraftaten durch diese Gruppe pro Tag. Angezeigt werden täglich nur 173. Da sieht man in etwa, wie hoch die Dunkelziffer ist. Bei 3.000 Straftaten gibt es auch eine ähnlich hohe Anzahl von Opfern. Tatsache ist, daß der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger vor dieser — ich sage bewußt — hausgemachten Kriminalität zu schützen. Hausgemacht insofern, weil diese Kriminalität im wesentlichen entfallen würde, wenn der Staat die Drogen für die Süchtigen kontrolliert abgäbe.
Den Kampf gegen die Drogenkriminalität will das BKA auf Basis des „klaren Verbots“ gewinnen.
Das muß man sich mal genauer ansehen. Seit 1990 bekämpfen wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unter Ausschöpfung aller Ressourcen die Drogenkriminalität in unserer Stadt. Wir haben inzwischen 39 Leute auf dem Hauptumschlagplatz in unserer Stadt eingesetzt. Daneben laufen in den verschiedenen Schutzbereichen Einsatztrupps, die sich auch im wesentlichen mit der Drogenkriminalität beschäftigen. Wir machen im Bereich der Drogensüchtigen inzwischen personenbezogene Ermittlungen. Nirgendwo sonst in NRW wird mit einem größeren Einsatz von Beamten und Technik gegen die Drogenkriminalität vorgegangen. Trotzdem sehen wir keinen Erfolg. Wir kriegen die Drogenkriminalität nicht in den Griff. Wir müssen schlicht feststellen, daß die bisherige Drogenbekämpfung mit polizeilichen Mitteln nicht zum Erfolg führen kann.
Die Konservativen wollen darauf mit schärferen Gesetzen reagieren.
Dagegen habe ich aus zwei Gründen erhebliche Bedenken. Erstens ist es sehr fraglich, ob die behaupteten Erfolge durch schärfere Gesetze zu erzielen sind. Die Amerikaner sind z.B. auf dem Weg nicht weiter gekommen. Zweitens kommen wir bei einer weiteren Verschärfung bald an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit. Sehen Sie, das „klare Verbot“ führt ja zu einer Vielzahl von weiteren Problemen. Wir haben in Dortmund etwa 550 drogensüchtige Straßenstricherinnen. Ein Großteil dieser Mädchen ist Aids-krank. Die Freier verkehren fast ausschließlich ohne Gummi mit diesen Mädchen. Die brauchen nur für ihren Stoff etwa zwei Verkehre pro Tag. Von dieser gesundheitlichen Gefährdung redet keiner. Es wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, als könnte durch stärkere Verbote, durch schärfere Gesetze das Suchtproblem gelöst werden. Ein Irrtum. Die Polizei kriegt keinen einzigen Süchtigen von der Nadel.
Die NRW-CDU behauptet, daß die Legalisierung von Drogen zur „Ausbreitung des Drogenkonsums“ führe — also mehr Menschen an die Nadel bringe.
Ich weiß nicht, worauf diese Behauptungen der CDU beruhen. Tatsächlich zeigen die Erfahrungen im Ausland das genaue Gegenteil. Das niederländische Beispiel und die Versuche in Liverpool beweisen doch, daß die Droge durch Freigabe entmystifiziert wird und dadurch ein Anreiz für Jugendliche zum Drogenkonsum entfällt. In den Niederlanden hat z.B. Die Zahl der Jugendlichen, die Hasch ausprobieren, erheblich abgenommen.
Neuerdings wird viel über die Gefahr bekiffter Autofahrer geschrieben. Brauchen wir neben der Promille- Grenze nun auch Rauschgrenzwerte für Drogen konsumierende Autofahrer?
Natürlich, wenn entsprechende Rauschgiftwerte kontrollierbar sind.
Sie wollen — wie der Hamburger Bürgermeister — den Stoff kontrolliert abgeben lassen. Methadon-Programme allein reichen nicht aus?
Nein, denn Methadon hilft nur den Süchtigen, die auch Methadon wollen. Sie werden also damit nicht diejenigen erreichen, die auf Heroin bleiben wollen. Da ich aber den sicherheitspolitischen Ansatz verfolge und die Beschaffungskriminalität bekämpfen und der organisierten Kriminalität der Drogenbosse den Boden entziehen will, muß ich mich für die kontrollierte Vergabe entscheiden. Alle anderen Mittel greifen in einem demokratischen Rechtsstaat letztendlich nicht. Auch verdeckte Ermittler helfen da nicht viel weiter.
Wer soll die Vergabe der Drogen bezahlen?
Die Herstellung des Stoffs kostet weniger als ein Prozent des illegalen Verkaufspreises. Heute braucht ein Heroinsüchtiger etwa 200 bis 250Mark am Tag. Würde die Droge aus der Illegalität herauskommen, fiele der Preis sofort dramatisch. Mehr als fünf Mark pro Tag wären wohl nicht erforderlich. Hauptursache der sozialen und körperlichen Verelendung von Heroinsüchtigen, das sagen viele Experten, ist die Illegalisierung. Fiele die weg, käme es bei vielen Süchtigen zur Stabilisierung ihrer Verhältnisse. Eine geregelte Arbeit wäre wieder denkbar, und dann könnten viele die Kosten auch selbst tragen. Für mich ist klar: Die bisherige Sicherheitspolitik ist auf diesem Feld gescheitert. Wir müssen uns was Neues überlegen, und ich sehe keine erfolgversprechende Alternative zu meinen Vorschlägen.
Wenn Sie heute eine Versammlung Ihrer Drogenfahnder einberiefen und Ihre Vorschläge unterbreiteten. Würden Sie dann ausgepfiffen?
Nein, denn die Mitarbeiter, mit denen ich im übrigen längst gesprochen habe, sehen ja auch, wie frustrierend es ist, morgens einen Drogenkonsumenten auf der Platte festzunehmen, ihn dem Richter vorzuführen, der ihn wieder laufen läßt, um dann am Abend dieselbe Person wieder auf der Platte anzutreffen. Dann beginnt das ganze Spielchen wieder von vorne. Ein unendlicher Kreislauf, den zu stoppen wir alle polizeilichen Mittel ausgereizt haben. Interview: Walter Jakobs
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