INTERVIEW: „Wir brauchen eine Technische Universität für Frauen“
■ Utopische Zukunftsmusik oder realistische Alternative zum bestehenden Hochschulwesen?/ Ein Gespräch mit Sigrid Metz-Göckel
Als Leiterin des Hochschuldidaktischen Zentrums (HDZ) in Dortmund richtete Sigrid Metz- Göckel Anfang der 80er Jahre den Schwerpunkt „Frauenforschung/Frauenstudien“ ein. 1980 initiierte die Hochschullehrerin den „Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen in Nordrhein- Westfalen“. Dieser überregionale und interdisziplinäre Zusammenschluß mischt sich seit Jahren lautstark in die Hochschulpolitik ein und stellt Forderungen für Frauen auf. Seit 1988 ist Sigrid Metz-Göckel als Sachverständige in der Bundestagsenquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Bildung 2000“ tätig.
taz: In den letzten Jahren hat die Frauenforschung ein stärkeres Gewicht in der bundesdeutschen Hochschullandschaft bekommen. Wie sieht in diesem Zusammenhang die europäische Entwicklung aus?
Sigrid Metz-Göckel: Ich habe gerade eine Erhebung im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) abgeschlossen, und danach sind Nordrhein-Westfalen und Berlin eindeutig die Spitzenreiter hinsichtlich der Institutionalisierung von Frauenforschung. Im europäischen Vergleich existieren bisher leider keine derart systematischen Erhebungen. Es bahnen sich allerdings erste internationale Vernetzungen an. Die Organisation „WISE“ („Womens International Studies Europe“) ist solch eine Einrichtung, die die stärkere Koordination und Zusammenarbeit der europäischen Frauenforschung anstrebt. Außerdem wurden von der belgischen Organisation GRACE zwei Studienführer zu Womens Studies in der EG herausgegeben, die umsonst angefordert werden können.
Am HDZ in Dortmund beschäftigen Sie sich schwerpunktmäßig mit den Potentialen von Frauen in den Technik- und Naturwissenschaften.
Der Anteil von Frauen in den Ingenieurwissenschaften und in einigen Naturwissenschaften ist nach wie vor kläglich. Für Frauen bestehen mittlerweile keine formalen Zugangsbeschränkungen mehr für diese Fachrichtungen. Im Studienfach Hüttenkunde müssen Studierende zwar ein Praktikum unter Tage machen, das für Frauen verboten ist. Dennoch konnten einzelne Frauen sich erfolgreich gegen dieses Praktikum durchsetzen und wurden zum Studium zugelassen. Das heißt, theoretisch ist für Frauen alles möglich, praktisch aber eben doch nicht.
Veränderungen erfolgen gerade bei den Ingenieurwissenschaften nur in minimalen Prozentpunkten. Das Fach mit dem geringsten Frauenanteil bei den Studierenden (drei bis fünf Prozent) ist die Elektrotechnik. Parallel dazu gleichen sich die Informatikstudiengänge, was die Frauenbeteiligung betrifft, mehr und mehr den harten ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen an und fahren ihren Frauenanteil dramatisch runter. Bei der Einrichtung dieser Studiengänge in den 60er Jahren lag der Anteil von Frauen bei bis zu 20Prozent. Heute beträgt er bei den Studienanfängerinnen gerade mal acht Prozent.
Entstand daraus die Forderung nach einer Technischen Hochschule für Frauen?
Meiner Meinung nach können wir nicht davon ausgehen, daß sich hier in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren viel verändern wird, wenn wir nicht ein größeres, gesellschaftliches Bildungsexperiment, nämlich eine Technische Universität der Frauen konzipieren. Mit solch einer Technischen Hochschule von Frauen würden überhaupt erst die Möglichkeiten zu einer deutlichen Alternative in unserer technikorientierten Zeit eröffnet werden. In diesem Rahmen könnten Handlungsspielräume ausgetestet werden, um langfristig eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Frauen nicht einen ganz anderen Entwurf oder eine wenigstens in Grenzen positiv abweichende Alternative zur heutigen Technik entwickeln können.
Wie soll sich ein Studium an der TU für Frauen von gängigen ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen unterscheiden?
Nehmen wir beispielsweise das Grundstudium: Im Maschinenbau ist es derzeit ungemein verschult. Ich weiß von Studentinnen, daß sie es als äußerst frustrierend erleben, nur zu pauken. An einer TU von Frauen wollen wir das Studium weitaus praxisnäher gestalten. Wir legen besonderen Wert auf die fächerübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen. So sollten in einen Maschinenbaustudiengang unbedingt auch Umweltwissenschaften und Gesundheitswissenschaften integriert werden.
Welche Resonanz haben ihre Vorschläge?
Die Idee finden viele faszinierend, auch PolitikerInnen. In unserem Modell gibt es allerdings zwei große Haken. Der eine ist das Geld. Unserer Meinung nach muß sofort eine glänzend ausgestattete Universität her. Denn wenn das Ganze wieder einmal auf etwas Mickriges, Kleinkariertes für Frauen hinausläuft, bekommen wir weder qualifizierte Lehrende noch motivierte Studierende.
Der zweite Haken taucht beim Studienabschluß auf. Das ist ein Problem, mit dem auch der seit mehreren Jahren existierende Frauenstudiengang an der Universität Dortmund konfrontiert ist. Hier können Frauen auch ohne formale Zugangsberechtigung, also ohne Abitur, studieren. Im Ansatz ein fantastisches Reformmodell, weil es den „Familienfrauen“ den Zugang zur Universität eröffnet. Aber das mögliche Abschlußzertifikat steht in kläglichem Konkurrenzverhältnis zu anerkannten Studienabschlüssen. Das heißt, wir müssen uns sehr genau überlegen, ob wir ein radikales Reformmodell durchsetzen wollen, weil stets die Frage bleibt: Was bedeuten die Abschlüsse für unsere Absolventinnen, wenn sie auf den Arbeitsmarkt kommen? Unser Konzept wurde bisher auf verschiedenen politischen Ebenen vorgestellt, beim Bundesbildungsministerium, bei den Parteien. Überall stoßen wir auf große Aufgeschlossenheit. Ich gebe der Frauenhochschule durchaus eine faszinierende Zukunft. Interview: Karin Flothmann
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