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INTERVIEW„Die Lage der Frauen muß sich verbessern“

■ Für die UNFPA-Direktorin Nafis Sadik zeigen sich in den letzten Jahren schon beachtliche Fortschritte in der Familienplanung einiger Länder/ Statt dem Norden Schuld zuzuweisen, sollten die Entwicklungsländer handeln

taz: UNFPA präsentiert drei verschiedene Prognosen für die globale Bevölkerungsentwicklung, welche ist die realistischste?

Nafis Sadik: Unser Ziel ist es, die mittlere Projektion zu erfüllen. Wir stützen uns auf etliche Untersuchungen, nach denen 300 Millionen Frauen beziehungsweise 300 Millionen Paare Familienplanung betreiben würden, wenn sie die nötigen Informationen darüber und die praktischen Mittel dafür zur Verfügung hätten. Wenn die Hälfte dieser Paare Kontrakonzeptiva verwenden würden, könnten wir in der mittleren Prognose bleiben, die von 8,5 Milliarden Menschen im Jahr 2025 ausgeht. Wenn wir diesen Bedarf nur zu einem Bruchteil decken können, nähern wir uns der maximalen Prognose.

Welches sind die Regionen, die Ihnen die meisten Sorgen bereiten?

Die problematischsten Regionen sind Sub-Sahara-Afrika, Südasien und in gewißem Maß auch Mittelamerika. In Afrika liegt die Wachstumsrate noch immer bei drei Prozent. Es ist zudem die ärmste Region der Welt. Darüber hinaus fehlt eine Infrastruktur für Gesundheitsversorgung und Kommunikation. In Südasien müssen wir die Regierungen, Pakistans oder Nepals bespielsweise, dazu bringen, mehr zu tun als bisher. In Mittelamerika macht uns die katholische Kirche zu schaffen, die ja bekanntermaßen ihren Anhängern die Verwendung von Kontrakonzeptiva untersagt und auch viele politische Parteien in der Region beherrscht.

Können Sie auch positive Beispiele nennen?

Fast alle ostasiatischen Länder. Indonesien, Thailand, Korea, China, auch einzelne Bundesstaaten Indiens wie Kerala. Selbst in Bangladesch sind Erfolge zu erwarten. In Lateinamerika bewegt sich Mexiko auf erste Erfolge zu. Aber auch Brasilien, Kolumbien oder Costa Rica sind positive Beispiele. Unter den arabischen Ländern hat bisher nur Tunesien die Zahl der Geburten wirksam verringert. In Afrika gibt einzig Botswana zur Hoffnung Anlaß.

Sie haben die katholische Kirche erwähnt, was sind die größten Hindernisse, die einer erfolgreichen Familienplanung im Wege stehen?

Die ignorante Einstellung der Männer und der schlechte Status der Frauen. Die Rolle und die soziale Anerkennung der Frau sind in vielen Gesellschaften noch immer weitgehend auf das Kinderkriegen beschränkt. Erziehung ist hier entscheidend. Wenn Frauen größere Bildungschancen haben, bekommen sie weniger Kinder.

Der Schlüssel zum Erfolg von Familienplanung ist die Verbesserung des Status der Frau?

Ja, eindeutig. Wenn sich die Lage der Frauen nicht verbessert, ist jedes Familienplanungsprogramm zum Scheitern verurteilt.

Warum kritisieren dann auch Feministinnen regelmäßig und heftig Familienplanung?

Sie sagen, daß Familienplanung Frauen nicht aufgenötigt werden darf, damit stimme ich überein. Alle Untersuchungen zeigen jedoch, daß es unter Frauen in der Dritten Welt einen gewaltigen Bedarf an Verhütung gibt. Und diesem Bedürfnis müssen wir Rechnung tragen. Davon sprechen diese Feministinnen dann nicht. Ich muß diesen Kritikerinnen auch vorhalten, daß sich die Todesfälle im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt in der Dritten Welt um mehr als ein Drittel reduzieren ließen, wenn Frauen erst ab zwanzig Kinder bekommen würden. Dafür brauchen sie Familienplanung.

Was könnten die Industrienationen tun, um Familienplanung in der Dritten Welt zu unterstützen?

Derzeit liegt der Anteil der Entwicklungshilfe, den die Industrienationen für Familienplanung ausgeben, bei nur einem Prozent. Das müßte auf mindestens vier Prozent erhöht werden, selbst wenn die Entwicklungshilfe insgesamt nicht steigt. Wenn wir uns nicht dem Bevölkerungsproblem stellen, können wir die Umwelt vergessen und die Bekämpfung der Armut ebenso.

Warum sind die Bewohner und die Regierungen der Industrienationen so ignorant gegenüber dem Bevölkerungsproblem?

In den achtziger Jahren hat man sich davon beruhigen lassen, daß die Fruchtbarkeitsraten, das ist die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Frau bekommt, sinken. Inzwischen wird jedoch deutlich, daß die absoluten Zahlen so gewaltig sind. Das hilft uns.

Wie konnte es dennoch geschehen, daß auf der Weltumweltkonferenz in Rio die Frage der Bevölkerung kein zentraler Punkt der Agenda ist?

Inzwischen gibt es in den Dokumenten ein ganzes Kapitel zu demographischen Dynamiken, und in den Passagen über Armut, Frauen und Gesundheit gibt es Hinweise auf die Bedeutung von Bevölkerungspolitik. Das Thema ist unglücklicherweise zum Vehikel der politischen Debatte zwischen Norden und Süden geworden. Der Süden benutzt es, um mehr Entwicklungshilfe zu bekommen, aber das ist meiner Meinung nach keine besonders kluge Taktik. Die Entwicklungsländer müssen dem Thema selbst eine hohe Priorität einräumen, denn es ist in erster Linie ihr Problem.

Es gab natürlich den Versuch des Vatikans und von Vertretern ein oder zwei katholischer Länder, sämtliche Verweise auf Familienplanung aus den Dokumenten der ganzen Rio-Konferenz fernzuhalten. Unglücklicherweise wurde auch der Begriff „Familienplanung“ wieder gestrichen und durch eine Formulierung ersetzt, daß Paare Informationen bekommen sollen, um die Größe ihrer Familien zu regulieren. Da wurden viele Worte gefunden, um den Begriff Familienplanung vorsichtig zu umschreiben. In dem komplizierten Vorbereitungsprozeß für Rio war also zunächst das Thema Bevölkerung und Familienplanung völlig ausgespart, dann änderte sich dies dramatisch, und bei der letzten Vorbereitungskonferenz wurde alles wieder abgeschwächt. Vielleicht wird es in Rio wieder verstärkt.

Sie sind insgesamt so optimistisch, obwohl die nüchternen Zahlen des Berichts doch eher zu Beunruhigung Anlaß geben.

Ich gewinne meinen Optimismus daraus, daß etliche Länder in sehr kurzer Zeit bemerkenswerte Erfolge erzielt haben. Thailand und Indonesien zum Beispiel. Dies sind keine reichen Länder, und dennoch haben sie gezeigt, was sich machen läßt. Ein anderes Beispiel: Vor wenigen Jahren waren viele Regierungen Afrikas noch entschieden gegen jede Form der Familienplanung. Heute sagen alle, daß die Bevölkerungswachstumsrate ihren Möglichkeiten der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung entsprechen muß. Jetzt müssen wir sie davon überzeugen, daß sie Programme entwickeln und umsetzen müssen. Ich bin guten Mutes, daß bis zum Jahre 1994, wenn die nächste große Weltbevölkerungskonferenz einberufen wird, alle Entwicklungsländer solide Strategien und Programme haben. Dann werden sie vom Norden Unterstützung verlangen, wenn sie diese nicht selbst finanzieren können.

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