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INTERVIEWWeiter Gerichtsurteile »In dubio pro Mann«

■ Die taz sprach mit Ex-Frauensenatorin Anne Klein über »Purzelbäume, um das LADG zu sabotieren«

Seit eineinhalb Jahren ist das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) in Berlin in Kraft. Eine der Verfechterinnen des Gesetzes war die Frauensenatorin in der rot-grünen Koalition, Anne Klein (AL). Die taz sprach mit ihr über die Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit des LADG.

taz: Frau Klein, ob in Nordrhein- Westfalen oder Berlin, immer wieder gibt es Querelen um das LADG in Form von abschlägigen Bescheiden der Oberverwaltungsgerichte. Haben Sie denn damit gerechnet?

Klein: Nein. Wir Frauen meinten damals, daß sich aus dem Gleichberechtigungsartikel 3 des Grundgesetzes eine Kompensation für jahrhundertelange Benachteiligung ableiten lasse. Damit sind wir aber anscheinend gründlich getäuscht worden, wenn man die Praxis der Verwaltungsgerichte betrachtet. Dabei haben sogar maßgeblich VerfassungsrechtlerInnen festgestellt, daß Artikel 3 einen Handlungsauftrag beinhaltet. Anstatt diesen durchzusetzen, können sich Männer immer wieder erfolgreich auf die Einzelfallgerechtigkeit laut Bundesbeamtengesetz berufen. In dubio wird pro Mann entschieden.

Hätte man das Gesetz nicht anders verabschieden müssen, um es weniger angreifbar zu machen?

Politisch gibt es keine andere Möglichkeit als eine Quote. Wir scheitern lediglich an der Einzelfallgerechtigkeit. Wenn Männer sich darauf berufen, daß sie Frau und Kinder zu versorgen haben, werden sie eben — wie die gestoppten Fälle zeigen — doch vorgezogen.

Dennoch drängt sich der Eindruck auf, die Quotierung schwebe im rechtsfreien Raum. Welche Auswirkungen hat das in der Praxis?

Wir haben einen Zustand, in dem nichts läuft. Das heißt, Stellen können wegen noch laufender Verfahren nicht besetzt werden. Das kann sich eine Verwaltung nicht leisten. Oft werden Stellen dann noch mal ausgeschrieben und doch mit einem Mann besetzt. Die Männer haben sich quasi wie in einer Mutation schleunigst auf neue gesetzliche Regelungen eingestellt. In den Verwaltungsstuben werden immer neue Purzelbäume geschlagen, um das LADG zu sabotieren.

Sollte dann nicht das Bundesverfassungsgericht eine endgültige Klärung herbeiführen?

Das wäre wohl der einzige Weg. Im Fall des OVG Münster, wo es entscheiden sollte, waren die Karlsruher Richter aber so schlau, ein Eilverfahren abzulehnen.

Halten Sie das für Kalkül?

Ich habe den Eindruck, die Verfassungsrichter drücken sich davor, politisch in dieser Situation eine grundsätzliche Entscheidung zu fällen, die für die Frauen ausfallen würde. Wir müssen aber eine Entscheidung haben. Sonst können die Gesetze praktisch nicht angewandt werden. Und bis ein einzelner eine Verfassungsbeschwerde bis nach Karlsruhe durch die Instanzen gefochten hat, vergehen auch Jahre. Jeannette Goddar

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