INTERVIEW: „Wir verzichten wegen der Arbeitszeitverkürzung seit Jahren auf Lohnzuwächse“
■ Hans Reppel, Betriebsrat bei Opel in Bochum, zum Tarifabschluß in der Metallbranche und über die Bereitschaft der Metaller, zugunsten der KollegInnen im Osten Verzicht zu üben
taz: Herr Reppel, wie haben Ihre Kollegen im Betrieb auf den Karlsruher Abschluß reagiert?
Hans Reppel: Wir hatten am Sonntag noch eine Vollversammlung der Vertrauensleute. Und dabei ist ganz klar geworden, daß die Erwartungen in der Automobilindustrie über die 5,4 Prozent hinausreichten. Einfach deshalb, weil die Kassen in der Branche seit Jahren voll sind und Franz Steinkühler ja auch noch in der letzten Woche erklärt hat, unter sechs Prozent sei kein Abschluß drin.
Nun sind es einschließlich der Zulagen 5,8...
In den Großbetrieben gibt es schon seit Jahren 100 Prozent Weihnachtsgeld. Wir müssen jetzt erst einmal die innerbetriebliche Umsetzung der Zulagen abwarten, denn von der tariflich vereinbarten prozentualen Erhöhung des Weihnachtsgeldes profitieren zunächst einmal nur die KollegInnen, die bisher lediglich den tariflich vereinbarten Weihnachtsgeldanteil bekommen haben.
Waren die Beschäftigten streikbereit?
Wir waren streikbereit. Die kämpferische Stimmung war überall spürbar. Das hat sich auch bei den Warnstreiks gezeigt. Die Vertrauensleute wollten die Urabstimmung bei uns möglichst schnell.
Der Abschluß sieht für die letzten neun Monate 1993 eine Erhöhung um drei Prozent vor. Wird diese Zahl im Betrieb ohne Widerspruch geschluckt?
Wir kennen im Moment noch nicht alle Details, aber rein materiell bin ich von den drei Prozent schon etwas enttäuscht. Wie die Reaktionen im Betrieb ausfallen, kann ich jetzt noch nicht einschätzen, aber ich finde es gut, daß wir durch diesen Abschluß wieder die Vorreiterrolle im Tarifkampf übernommen haben.
Durch den Metallabschluß wäre demnach für 1993 als Marge drei Prozent vorgegeben. Darüber werden sich die anderen Gewerkschaften kaum freuen...
Ab 1. April 1993 tritt gleichzeitig die zweite Stufe der Arbeitszeitverkürzung von 37 auf 36 Wochenstunden in Kraft. Das muß man schon mit berücksichtigen, denn die Arbeitszeitverkürzung kostet auch Geld.
Eine Stunde Arbeitszeitverkürzung würde mit 2,8 Prozent Lohnkostenerhöhung für die Unternehmen zu Buche schlagen, weil für kürzere Arbeitszeit der gleiche Lohn gezahlt wird.
Wir verzichten wegen der Arbeitszeitverkürzung ja schon seit Jahren auf entsprechende Lohnzuwächse. Das ist ja ein bewußter Solidaritätsbeitrag von uns, um mehr Leuten die Chance auf einen Arbeitsplatz zu geben. Ohne diese Arbeitszeitverkürzung hätten wir einige hunderttausend Arbeitslose mehr. Der weitere Schritt in die 35-Stunden-Woche im nächsten Jahr dokumentiert unsere Solidarität mit den Schwächsten der Gesellschaft. Der muß von den anderen erst noch geschafft werden. Wenn man diese Arbeitszeitverkürzung hinzunimmt — und alles andere wäre unredlich —, stehen wir in der Vorreiterrolle so schlecht nicht da.
Den Gewerkschaften ist vorgeworfen worden, ihre Forderungen im Westen ohne Rücksicht auf die Kosten der deutschen Einheit durchzusetzen...
Mit solchem Gerede wird versucht, von alldem abzulenken, was die Regierung auf unserem Buckel ausgetragen hat. Jeder von uns hat den Griff in die Taschen doch gespürt. Wir sind selbstverständlich bereit zum Teilen, aber nicht so wie in den letzten drei Jahren. Denn in dieser Zeit haben wir gezahlt, während die Reichen in diesem Land noch reicher geworden sind. Beim Teilen muß es gerecht und offen zugehen, so daß jeder sehen und nachvollziehen kann, was die einzelnen Gruppen der Gesellschaft tatsächlich dazu beisteuern.
Sind die lohnabhängig Beschäftigten auch bereit, nicht nur geringere Zuwächse in Kauf zu nehmen, sondern auch auf Erreichtes zu verzichten?
Wir reden nicht darüber, sondern wir haben doch längst bewiesen, daß wir Solidarität ernst nehmen. Der Arbeitskampf 1984 um die Arbeitszeitverkürzung war ein Arbeitskampf für diejenigen in der Gesellschaft, die ohne Arbeit sind. Wir sind auch jetzt bereit, für unsere Kolleginnen und Kollegen im Osten einzustehen. Aber jetzt muß der Verzicht vom gesamten Volk geübt werden. Tatsächlich sieht es doch so aus, daß die Politiker und Manager uns Wasser predigen, selbst aber Wein trinken. Die Gehälter der Vorstandsetagen und die Diäten werden erhöht, während man uns sagt, es sei kein Geld da. Es gibt in der IG Metall seit langem Überlegungen, über Beschäftigungsgesellschaften in den neuen Ländern direkt etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu tun. Auch unter den Vertrauensleuten bei Opel ist offen darüber diskutiert worden, in der Tarifrunde auf einen Teil des Zuwachses zu verzichten, um statt dessen damit einen Fonds auszustatten, aus dem dann gezielt in die Sanierung maroder Betriebe investiert werden könnte. Wir möchten nicht, daß das Geld anonym beim Finanzminister Waigel landet, sondern wir wollen ganz konkret unseren Metallkollegen helfen. Interview: Walter Jakobs
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