INTERVIEW: „Die tarifpolitische Wende ist eingeleitet“
■ Dr. Hans-Joachim Gottschol, Präsident von Gesamtmetall, zum Tarifabschluß in der Metallindustrie
taz: Herr Gottschol, gehören Sie, wie IG-Metall- Chef Steinkühler nach dem Abschluß von Karlsruhe behauptete, zu den Verlierern des Tarifkonflikts in der Metallindustrie?
Hans-Joachim Gottschol: Wenn ich mir das Ergebnis betrachte und das tarifpolitische Umfeld, in dem es erreicht wurde, sicherlich nicht. Das zeigt übrigens auch die Reaktion der Mitgliedsfirmen, auch und gerade des industriellen Mittelstandes, dessen Interessen ich mich besonders verpflichtet fühle. Aber ganz unabhängig davon halte ich die Gewinner-Verlierer-Kategorie in bezug auf den Tarifabschluß dieses Jahres für gänzlich unangemessen. Das ist noch altes Denken, von dem wir uns allmählich befreien sollten. Unser Ziel sollte das Gewinner-Gewinner-Modell sein. Beide Seiten — Arbeitnehmer und Unternehmer, IG Metall und Gesamtmetall — sollten eine Tarifpolitik anstreben, bei der beide Seiten Vorteile haben. Denn wie kein anderer Wirtschaftszweig befindet sich die deutsche Metall- und Elektroindustrie in einem weltweiten Konkurrenzkampf gegen potente Mitbewerber insbesondere aus Japan und den USA. Auf diesem Feld kann es durchaus Gewinner und Verlierer geben. Im Konkurrenzkampf aber ist jede Firma eine Risikogemeinschaft von Kapital und Arbeit, um Ihnen geläufige Begriffe einmal anders zu verwenden.
Wo ist denn Ihre „tarifpolitische Wende“ geblieben?
Die tarifpolitische Wende ist notwendigerweise ein längerer Prozeß. In diesem Jahr wurde sie eingeleitet. Mit der Lohnzahl von drei Prozent für 1993 haben wir ein Signal für Tarifabschlüsse gesetzt, die wieder stärker an der Produktivitätsentwicklung angekoppelt sind. Wir haben außerdem für 1994 die Entscheidungsfreiheit der gesamtwirtschaftlichen Lohnführerschaft gegenüber dem öffentlichen Dienst zurückgewonnen. Auch das gehört zu der von uns gewollten tarifpolitischen Wende.
Hat Ihnen die politische Einflußnahme auf die Tarifbewegung 92 eher genützt oder geschadet?
Sie hat eher geschadet. Aber diese „Politisierung“ der Tarifrunde war in der gewerkschaftlichen Forderungshöhe, aber auch der Forderungsbegründung bereits angelegt — wie übrigens im Jahr zuvor auch schon. Denn die Gewerkschaften sind 1992 wie schon 1991 mit dem Anspruch aufgetreten, bei den Lohnerhöhungen wieder hereinzuholen, was der Staat den Arbeitnehmern für den Einkommenstransfer in die neuen Bundesländer abnimmt. Daß sie damit unerfüllbare Erwartungen geweckt haben, ist ihnen inzwischen wohl klargeworden. Am Desaster der ÖTV kann kein Tarifpolitiker Gefallen haben.
Sie gelten als Repräsentant des Mittelstandes und haben den wachsenden Preisdruck der Großindustrie auf die mittelständische Zulieferindustrie beklagt. Wie wollen Sie in Zukunft mit diesem verbandsinternen Konflikt umgehen, wenn sich die Gewerkschaft einer Überwälzung auf die Tarife verweigert?
Lassen Sie mich zunächst eine Klarstellung treffen. Bei dem Konflikt zwischen Zulieferer und Abnehmer handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen Großen und Kleinen. Auch große Zulieferer klagen darüber, daß die Überwälzung steigender Arbeitskosten auf die industriellen Abnehmer möglich ist. Die Schlußfolgerung kann ja nur sein, den Anstieg der Lohnstückkosten durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik möglichst zu vermeiden. Denn die Alternativen sind Arbeitsplatzabbau und Produktionsverlagerungen ins kostengünstigere Ausland. Arbeitsplätze wegzutarifieren — ich zitiere jetzt Herrn Steinkühler —, sei nicht das Ziel gewerkschaftlicher Lohnpolitik. Von daher habe ich durchaus Hoffnung auf bleibende gewerkschaftliche Einsicht. Interview: Martin Kempe
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