INTERVIEW: An die Leiche des Regimes gekettet
■ Vuk Draskovic, Führer der serbischen Opposition, ruft zum Boykott der Wahlen in seinem Land auf/ Sanktionen gegen Serbien lehnt er jedoch ab
taz: Herr Draskovic, in den letzten Tagen ist deutlich geworden, wie isoliert Serbien dasteht. Ist das nur die Schuld ausländischer Hetze?
Vuk Draskovic: Nein, die serbische Regierung hat das Ihrige dazu beigetragen. Ich glaube allerdings der kommunistischen Propaganda nicht, die behauptet, die Welt hasse uns, weil wir Serben seien. Das ist nicht wahr, Serbien war nie ohne politische Freunde.
Wie beurteilen Sie die Sanktionen der Europäischen Gemeinschaft?
Wenn mich jemand überzeugen kann, daß diese Sanktionen nur das Regime treffen, dann sind sie in Ordnung. Ich denke aber, sie gehen gegen das ganze Volk. Es stimmt zudem nicht, daß unser Regime viel schlechter ist als das in Zagreb, beide sind sich sehr ähnlich. Aber wir Serben als das zahlenmäßig größte Volk auf dem Balkan sind besonders dafür verantwortlich, daß sich in unserem Land die Demokratie entwickelt. Gleichzeitig ist Serbien ein unglückliches Land. Schon die Türken im Osmanischen Reich hatten sich eine besonders schwere Strafe ausgedacht. Sie bestand darin, einen lebendigen Menschen an eine Menschenleiche zu fesseln, solange, bis der Mensch verrückt wurde. So ähnlich geht es uns jetzt. Das Regime ist die Leiche, an die das ganze serbische Volk gekettet ist. Die kommunistische Leiche wurde allerdings geschminkt, man wechselte den Namen und tat alles, um den Schein zu erwecken, daß sie noch am Leben ist. Jetzt müssen die Serben diese Leiche entfernen, ihre demokratischen Traditionen beleben und damit neue Brücken zu anderen Nationen schlagen, auch zu Deutschland.
Warum nehmen Sie dann nicht an den Wahlen teil?
Die gesamte Oppositon hat sich entschlossen, diese viel zu kurzfristig einberufenen Wahlen zu boykottieren. Denn es stehen nur verschiedene kommunistische Parteien zur Auswahl und eine faschistische, die Partei von Seselj. Nach Meinungsumfragen werden etwa sechzig Prozent der Bevölkerung die Wahlen boykottieren. Da es keine Kontrolle gibt, könnten die Wahlen auch manipuliert werden. Alles ist im voraus arrangiert. Die Wahlen sind nur eine Farce.
Milosevic wird also an der Macht bleiben?
Er darf keinen Tag länger an der Macht bleiben. Bei fairen demokratischen Wahlen würde die Opposition dafür sorgen und mindestens siebzig Prozent der Wähler an sich binden. Der Hauptfeind der serbischen Zukunft ist weder Washington noch Bonn, Rom oder London, sondern er steht hier in Belgrad. Wir müssen zehn Tage oder länger die Regierungsinstitutionen blockieren, um das Regime zu zwingen, demokratische Wahlen abzuhalten. Die nationale Ehre steht auf dem Spiel. Es wäre eine Schmach, wenn anstelle der serbischen Opposition Amerikaner oder Franzosen den Kommunismus in Serbien zu Fall bringen.
Aber die serbische Opposition ist zersplittert. Wie wollen Sie da einen einheitlichen Block gegen Milosevic organisieren?
Wir haben bereits jetzt die größten demokratischen Parteien zusammengeführt, meine SPO, die Demokratische Partei und die Liberale Partei. Diese Vereinigung wird u.a. von 30 Mitgliedern der serbischen Akademie der Wissenschaften und 300 Professoren der Universität sowie Rechtsanwälten, Schriftstellern und Richtern unterstützt.
Für manche ist es der Gipfel des Zynismus, daß sich Serbien offiziell nicht im Krieg befindet. Wie ist die Gewalt überhaupt noch zu beenden?
Es ist falsch, daß Europa nur die eine Seite zum Schuldigen erklärt und die andere darin bestärkt, den Krieg fortzusetzen. Im Grunde müssen wir jetzt wie Ärzte denken, die Ursache der Krankheit suchen und diesen Bazillus töten, damit der Patient gesund wird. Alle politischen Führungen, ob in Zagreb oder Ljubljana, sind bekannte kommunistische Führungen. Sie sind die Ursache dessen, was passiert. Diese Verbrecher müssen auf die Anklagebank gebracht werden und zwar nach dem Muster der Nürnberger Prozesse. Doch schuldig sind auch Journalisten, die immer wieder Haß gepredigt haben.
Einige meinen, daß es zwischen Opposition und Regime zu einer Konfrontation, also zu einem Krieg zwischen den Serben kommen könnte.
Milosevic hatte auf diese Option gesetzt. Er wollte einen Bürgerkrieg provozieren, weil er überzeugt war, daß seine Seite stärker war. Doch von Slowenien bis Bosnien ist inzwischen klar, er ist der Schwächere. Besonders die serbische Jugend hat begriffen, worum es geht, 59 Prozent sind gegen das Regime. Wir wollen keinen Krieg, sondern eine demokratische Veränderung. Mit der Besetzung öffentlicher Gebäude in Belgrad wollen wir ihnen begreiflich machen, daß sie abtreten müssen.
Die Armee steht aber auf der Seite der Macht.
Wir müssen die Armee in eine demokratische serbische Armee umwandeln. Dann könnten wir auch zusammen mit der Polizei die Freischärler und freien Gruppen entwaffnen.
Akzeptieren Sie die Verfassung der „Bundesrepublik Jugoslawien“?
Diese Verfassung wurde in nur drei Tagen und von einem Parlament verabschiedet, das noch aus der kommunistischen Zeit stammt — also von Leuten, die dazu gar kein Recht haben. Außerdem wurde ein Jugoslawien gegründet, das kein Jugoslawien mehr ist, sondern die Vereinigung zweier serbischer Staaten, also Serbien.
Wie soll es denn in Zukunft weitergehen mit der Vereinigung der Serben? Sollen die serbischen Gebiete in Bosnien und Kroatien in den neuen Staat integriert werden?
Ich will ein großes Serbien gründen — aber nicht mit Kalaschnikows, sondern auf friedliche Weise.
Dann müssen Sie aber die Grenzen verändern, und zwar in einem Prozeß, der gleichzeitig zum Frieden führt. Ist das realistisch?
Die Grenzen zwischen den alten Republiken Jugoslawiens dürfen nicht mit Gewalt verändert werden. Sie sollten aber durchlässig sein, so wie zwischen Deutschland und Holland.
Wie stehen Sie zu den Minoritäten in Serbien, zu den Kosovo-Albanern und den Ungarn in der Vojvodina?
Die Minoritäten sollen die höchsten demokratischen Minderheitenrechte in Europa erhalten.
Aber wenn die Kosovo-Albaner sich mit Albanien vereinigen wollen, was sagen Sie dann?
Das ist unmöglich, wenn Serbien nicht zustimmt. Kosovo ist und bleibt Serbiens Jerusalem.
Würden Sie Gewalt anwenden, um die Albaner im serbischen Staat zu halten?
Sehen Sie, die Albaner sind clever genug, keine Gewalt anzuwenden. Sie werden im serbischen Parlament abstimmen können über die Angliederung an Albanien. Die Mehrheit wird aber dagegen sein.
Haben Sie persönlich in den letzten Jahren alles richtig gemacht?
Jeder macht irgendwann einmal einen Fehler. Mein Fehler war, daß ich nicht an die Möglichkeit des Krieges geglaubt habe. Als ich dies verstanden habe, bin ich sofort gegen den Krieg aufgetreten. Nach dem Krieg, so sagte ich, müssen wir sowieso handeln, warum nicht gleich. Interview: Erich Rathfelder
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