INTERVIEW: „Ungeheurer Optimismus“
■ 25 Jahre nach Benno Ohnesorgs Tod: Der Berliner Rechtswissenschaftler Uwe Wesel zum Einfluß der Studentenbewegung
taz: Vor 25 Jahren ist Benno Ohnesorg während des Schah-Besuchs vor der Deutschen Oper in Berlin erschossen worden. Wie hat sich die Bundesrepublik dadurch verändert?
Uwe Wesel: Bis zu seiner Erschießung war die Studentenrevolte ein Berliner Phänomen. Mit Ohnesorgs Erschießung war die Empörung der Studenten an den anderen westlichen Universitäten so groß, daß es teilweise sogar fast noch heftiger wurde als in Berlin. Mit anderen Worten: Seine Erschießung war der Grund dafür, daß der Funke der Studentenrevolte von Berlin aus auf die ganze Bundesrepublik übersprang.
Die Studenten veränderten die Wissenschaft. Die ganze Frage der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaft ist viel stärker in die Einzeldisziplinen eingedrungen. In dieser Krise der Wissenschaft hatten die Studenten ein klares Konzept, nämlich gesellschaftliche Verantwortung und natürlich auch soziale Verantwortung, die das Ganze erheblich veränderten. Das zweite ist, wie sie die Universitätsstruktur veränderten. Damals existierte ja noch die Humboldtsche Ordinarienuniversität, in der der einzelne Professor der Dreh- und Angelpunkt der Organisation der Universität war. Die Studenten des SDS hatten schon 1961 mit der Denkschrift „Hochschule in der Demokratie“ ein Konzept, das acht Jahre später nicht nur hier in Berlin in die Wirklichkeit umgesetzt worden ist: die Mitbestimmungsuniversität, die damals noch viel weiter ging als heute, aber die ja bis heute überlebt hat.
Aber geht es nicht darüber auch hinaus? Ist nicht dadurch erst die Bundesrepublik zu einer zivilen Demokratie geworden?
Diese Revolte war auch von den Studenten nicht als Hochschul-Revolte gedacht, sie wollten ja die ganze Gesellschaft verändern. Wenn Sie die Reden von damals hören, also so von 67/68, die zum Teil für unsere Ohren heute unerträglich aggressiv und sehr aktivistisch klingen, merken Sie, daß die Studenten daran glaubten, in wenigen Monaten die Gesellschaft der Bundesrepublik über den Haufen zu werfen. Das haben sie nicht erreicht. Aber nur wer sich etwas Außerordentliches vornimmt, wird auch etwas Außerordentliches schaffen. Was sie erreicht haben, ist seitdem in der Tat ein ganz entscheidender Modernisierungsschub für die Politik der Bundesrepublik, die damals in der Mitte der sechziger Jahre immer noch auf der sehr patriarchalischen und autoritären Ebene der Adenauer-Zeit gelebt hat. Seitdem kennzeichnet das Wort Demokratisierung nicht nur die hohen Staatsaktionen, sondern Demokratisierung wurde etwas, was nach heutiger Überzeugung auch in die Gesellschaft hineingetragen werden muß. Die ganzen Bürgerinitiativen, Bürgerbewegungen, die Friedensbewegung, die ökologische Bewegung, überhaupt der Gedanke von Partizipation der Bürger an Politik geht auf die Studentenbewegung zurück.
Die Attraktivität der westdeutschen Gesellschaft hängt auch damit zusammen, daß sie sich so entwickelt hat. Die Adenauer-Gesellschaft wäre für die DDR keine Attraktion gewesen.
Die Banane hätten sie natürlich auch so gekriegt. Also da bin ich nicht so sicher, wieviel autoritäre Strukturen die Bürger der DDR in Kauf genommen hätten, um den Mist zu loszuwerden, den sie dann endlich losgeworden sind. Aber hätte die DDR in jener Zeit einen ähnlichen Modernisierungsschub erlebt wie die Bundesrepublik, und hätte sie ihre eigenen Strukturen ähnlich liberalisiert und modernisiert wie im Westen, dann würde sie möglicherweise nicht zusammengebrochen sein. Das hängt ja nicht nur mit dem politischen Modernisierungsschub bei uns zusammen, sondern mit der technischen Entwicklung: die ganze Computertechnik, die Datenverarbeitung, die bei uns das Leben in den letzten zehn Jahren revolutioniert hat, auch da sind sie ja hinterhergehinkt in der DDR. Ich glaube nicht, daß die Vereinigung so sehr Verdienst der Bundesrepublik gewesen ist, sondern eher die Fehler der DDR, also mangelnde Modernisierung zum Beispiel auch im politischen Bereich.
Kommen wir noch einmal zurück zur Bundesrepublik. Es war ja im übrigen nicht nur der Modernisierungsschub, der das ganze Denken veränderte. Es war wirklich eine Revolutionierung des Denkens am Ende der sechziger Jahre. Auch das private Leben der Menschen veränderte sich ungeheuer. Daß wir den Anschluß etwa an die Frauenbewegung in den USA erreichten, haben wir den Frauen des SDS zu verdanken, diesen APO-Frauen. Denn die APO kämpfte ja nicht nur gegen die bürgerliche Gesellschaft, sondern mit sich selbst. Mit ungeheurer Energie machten die Frauen ihre eigenen Rechte gegen die APO-Häuptlinge geltend. Daß das Wort Emanzipation bei uns heute einen positiven Klang hat, diese Veränderung im Verhältnis von Frauen und Männern, die Veränderung auch des Verhältnisses von Eltern zu ihren Kindern in der Familie, daß Kinder als selbständige Wesen endlich wirklich ernst genommen werden und nicht nur Gegenstand von Erziehung sind — all das haben die Studenten von damals bewirkt. Natürlich auf der Grundlage eines allgemeinen Wohlstands, der Mitte der sechziger Jahre auf seinem Höhepunkt angekommen war. Aber die haben die Chance genutzt und haben in der Tat die westdeutsche Gesellschaft ganz entscheidend bis heute verändert.
Auf der Strecke geblieben ist der Traum von einer Revolution, einer anderen Gesellschaft.
Das ist richtig. Wissen Sie, ich kam 1968 nach Berlin. Das war, auch ästhetisch, einfach unheimlich schön, hierherzukommen und zu sehen, mit welch ungeheurem Optimismus und mit welcher Lebensfreude die losgegangen sind. Der Optimismus ist dann schwer enttäuscht worden. Die Revolution kam ja nicht in wenigen Monaten, sie ist bis heute nicht gekommen. Viele, nicht alle, aber viele hat das in eine schwere, auch persönliche Krise gebracht, von der sie sich bis heute zum Teil nicht erholt haben. Viele haben weitergemacht, haben sich an die veränderten Umstände angepaßt. Und sind ja auch sehr erfolgreich geworden.
Hat man sich eines Besseren belehren lassen von den Möglichkeiten der bundesrepublikanischen Demokratie, oder war es Feigheit, daß man sich eben nicht dem bewaffneten Kampf angeschlossen hat?
Daß der bewaffnete Kampf unsinnig war, haben die meisten gewußt. Viele waren im Gegenteil sehr aktiv damit beschäftigt, Jüngere davon abzuhalten, diese Idiotie der Stadtguerella mitzumachen.
Aber es gab doch eine Zeitlang auch eine Faszination und eine positive Unterstützung ganz indirekter Art.
Es gab eine gewisse Faszination, aber durchaus nicht in allen Bereichen. Andere versuchten, diese Faszination und diese Sympathie auch innerhalb der eigenen politischen Gruppe zu verhindern und dafür zu sorgen, daß die Jüngeren sich da nicht wie Lemminge den Fels hinunterstürzen. Es war ja vorhersehbar, daß alles so ausgehen würde. Im übrigen ist natürlich die RAF auch, leider Gottes, ein Teil der Studentenbewegung, der, nachdem er sah, daß die Revolution mit den normalen politischen Mitteln nicht zu erreichen war, eben zur Gewalt griff. Insofern ist die studentische Bewegung von damals ja in viele politische Richtungen auseinandergefallen und in gewisser Weise jeweils einzeln gescheitert. Doch insgesamt hat sie einen ungeheuren Erfolg gehabt. Interview: Gerd Nowakowski
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