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INTERVIEW„Kubas Planwirtschaft hat keinen Plan mehr“

■ Carmelo Mesa-Lago, einer der führenden Experten zur Wirtschaft der Karibikinsel, über die gegenwärtigen wirtschaftlichen Perspektiven Kubas und zu den Möglichkeiten, die sich dem Land in der Ära nach Castro böten

„Ich könnte nicht in Kuba leben, aber auch nicht in Miami“, verortet der an der Universität von Pittsburgh lehrende Kubaner Carmelo Mesa-Lago nicht nur seine geographische, sondern auch seine politische Position zwischen Fidel Castros „Sozialismus oder Tod“- auf der einen und der „Kapitalismus oder Tod“-Position der Wortführer der Exil-Gemeinde in Florida auf der anderen Seite. Mesa-Lago, der sich seit dreißig Jahren wie kaum ein anderer mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Karibikinsel beschäftigt hat, gilt international als der beste Kenner der kubanischen Wirtschaft.

taz: Herr Mesa-Lago, welches Wirtschaftsmodell hat die Castro-Regierung heute, nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Europa?

Mesa-Lago: Sie hat keines, das ist das Frappierende. Der letzte Fünfjahresplan von 1986 bis 90 ist ausgelaufen und bisher nicht durch einen neuen ersetzt worden. Seit anderthalb Jahren hat Kuba eine Kommandowirtschaft ohne zentralen Plan, ohne daß am Jahresanfang so etwas wie ein Staatshaushalt festgelegt wird. Kuba hat eine Kriegswirtschaft.

Liegt dies allein am Wegfall der Sowjetunion und der Verbündeten in Europa?

Neben dem Zusammenbruch der sozialistischen Handelspartner Kubas liegt ein zweiter entscheidender Grund der jetzigen Krise in der internen Entwicklung Kubas. Denn die Auswirkungen der Umbrüche in Europa und der UdSSR bekommt das Land erst seit 1990 zu spüren; die Krise aber setzte bereits Mitte der 80er Jahre massiv ein. Nach meinen Berechnungen ist zum Beispiel das Bruttosozialprodukt in der Zeit von 1981-85 um 36 Prozent gestiegen, von 1986-90 dagegen um 11 Prozent gefallen. Das Defizit im Staatshaushalt, das sich zwischen 1981-85 verdoppelt hatte, versiebenfachte sich in der Zeit von 1986-90. Und schließlich das Handelsvolumen: war es von 1981-85 noch um 63 Prozent gestiegen, fiel es zwischen 1986-90 um 7 Prozent.

1986 verkündete Castro in Kuba die „Rectificación“, die sogenannte „Berichtigung von Irrtümern“, die oft als kubanische Antwort auf die Perestroika gesehen wurde...

Es ist diese „Rectificación“, die Kuba — wohlgemerkt, als es die sozialistischen Verbündeten noch gab — in diese tiefste Krise seit der Revolution geführt hat, die dann durch die Auflösung des Ostblocks selbstverständlich noch verschlimmert wurde. Lange vor Gorbatschow, seit den 70er Jahren, hatte es in Kuba eine gewisse Wiedereinführung von Marktmechanismen gegeben, ein bescheidenes Programm wirtschaftlicher Reformen. Während durch die Perestroika in der UdSSR dann Marktelemente eingeführt wurden, hatte Kubas „Rectificación“ das Gegenteil zum Ziel: die Rezentralisierung der Wirtschaft. Mit ihr zogen Kubas Wirtschaftspolitiker gegen die vorhandenen Marktelemente in der Wirtschaft zu Felde, schafften die freien Bauernmärkte ab, schränkten das vor allem bei einfachen Dienstleistungen verbreitete Arbeiten auf eigene Rechnung drastisch ein und führten verstärkt wieder Arbeitsbrigaden ein.

Fidel Castro bereitet die kubanische Bevölkerung beständig auf eine noch schlechter werdende Situation vor. Aber er betont, daß anders als in kapitalistischen Ländern der Staat allen Menschen ein Minimum garantiere. Am wichtigsten ist hier die libreta, die Bezugskarte für alle rationierten Produkte, die jede kubanische Familie erhält.

1962, drei Jahre nach der Revolution, ist die Rationierung eingeführt worden, um die armen Bevölkerungsgruppen vor der Inflation zu schützen, um ihnen Lebensmittel zu billigen Preisen zu garantieren. Heute ist die Situation eine andere: Es gibt praktisch keinen legalen Verkauf neben der libreta mehr wie früher. Alles ist rationiert. Und die Lebensmittelzuteilungen sind so mager, daß sie nicht mehr zum Leben reichen, daß alle zusätzlich auf dem Schwarzmarkt einkaufen müssen; und die mit niedrigem Einkommen können das nicht, denn die Preise auf dem Schwarzmarkt steigen gewaltig. Das Problem hinter dieser „sozialistischen Inflation“ ist einfach: Es gibt mehr Geld im Umlauf als Produkte. Und weil der Staat die Preise konstant hält, öffnet sich diese Kluft immer weiter. Immer mehr Pesos drängen auf den Schwarzmarkt, und der Wert des Geldes verfällt immer weiter.

Sind auf Kuba Anzeichen für eine mögliche wirtschaftliche Reformpolitik auszumachen?

Bis vor zwei Jahren gab es viele Ökonomen auf Kuba, die nicht nur eine Reform in Richtung mehr Marktwirtschaft wollten, sondern auch diskutierten, wie diese am klügsten durchzuführen sei. Zwar gibt es diese Ökonomen noch, aber gegenwärtig ist dieser Weg von Fidel verschlossen. Er treibt kapitalistische Dollar-Enklaven voran, vor allem Joint-ventures mit ausländischen Unternehmen. Aber er läßt keine Reform der kubanischen Peso-Ökonomie selbst zu. Da bleibt Fidel stur — und der Zerfall nimmt Tag für Tag zu. Was am Ende passieren wird? Ich habe keine Kristallkugel, in diesem Land kann alles passieren.

Gäbe es denn eine reale Perspektive für einen Weg der „kontrollierten Reform“ auf Kuba? Würde nicht jeder Versuch, der nicht gleich auch die Übernahme der Geschäfte durch die Exilgemeinde in Miami bedeutet, in Washington auf Granit beißen?

Wenn es einen klaren Reformkurs in Richtung Marktwirtschaft und politische Freiheiten gäbe, könnte er, so glaube ich, schon von den USA unterstützt werden. Die USA sollten einen solchen Wandel auf Kuba aktiv fördern, im Tausch auch ein Ende der Wirtschaftsblockade anbieten. Interview: Bert Hoffmann

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