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INTERVIEW„Ein extremer Männerkrieg“

■ Regisseurin und Autorin Helke Sander zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien

Helke Sander hat über jugoslawische Füchtlingsfrauen in ungarischen und österreichischen Lagern recherchiert und bereitet einen Beitrag für „Spiegel-TV“ vor. Ihr Film über vergewaltigte Frauen im Zweiten Weltkrieg „Befreier und Befreite · Krieg, Vergewaltigungen, Kinder“ kommt im Herbst in die Kinos.

taz: Vergewaltigung, Zwangsprostitution, Vertreibung — Krieg wird immer auch zum Krieg gegen Frauen. Wie sehen Sie das für Jugoslawien?

Helke Sander: Es spielt eine große Rolle, wenn auch nicht auf einer bewußten Ebene. Den jugoslawischen Krieg empfinde ich aus verschiedenen Gründen als extremen Männerkrieg. Es ist nicht einfach nachzuweisen, gleichzeitig aber so ausgeprägt, daß die Bundesregierung gut täte, sich einmal mit diesem Aspekt zu befassen, statt Schiffe in die Adria zu schicken.

Sie können es also nicht nachweisen. Welche Indizien haben Sie?

Die Frauen sind nicht organisiert, sie werden nicht gefragt, sie äußern sich nicht ideologisch und sie sind nirgendwo vertreten.

Das heißt, sie machen es den Männern leicht!

Nein, es ist eine klare Rollengeschichte — auch wenn die Frauen im sozialistischen Jugoslawien formal gleichberechtigt waren. Nur waren sie — wie überall — nicht dort vertreten, wo es etwas zu sagen gab. Deshalb muß man ganz klar feststellen: Alles was passiert, wird von Männern vorbereitet, verhandelt und durchgeführt. Die Frauen sind die klassischen Opfer. Selbst wenn sie anderes wollen, können sie es nicht durchsetzen.

Also eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Einschätzung dieses Krieges?

Ja. Ich habe ganz stark den Eindruck, daß sehr viel mehr Frauen als Männer die nationalistischen Führer verantwortlich machen für diesen Wahnsinn, daß sie viel eher sehen, daß er etwas künstlich Produziertes ist. Daß sie sich aber hilflos fühlen, weil sie nichts dagegen machen können. Mehr als die Männer erklären sie sich dazu bereit, auf das Versöhnliche zuzugehen.

Die Frauen kollaborieren aber doch auch. Sie unterstützen die Überväter Milosevic und Tudjman. Selbst die Mütterbewegung in Kroatien hatte mehr die eigenen Söhne im Kopf als Frieden.

Erstaunlich ist an diesen Müttern, daß sie zwar die Jungs aufgefordert haben, aus der Bundesarmee auszutreten, sie aber oft nicht daran hinderten, in die kroatische einzutreten. Einige Wochen lang haben diese Frauen eine ganz starke, emotionalisierte Bewegung getragen. Sie hatten sich über Nacht zu Tausenden zusammengefunden, ohne vorher irgend etwas politisch gemacht zu haben. Daß sie sehr schnell manipuliert werden konnten, kann man sich vorstellen.

In ihrem neuesten Film haben Sie Frauen dokumentiert, die während des Zweiten Weltkriegs vergewaltigt worden sind. Zeigt sich vor allem im Krieg der Zusammenhang zwischen Gewalt, Erniedrigung und Lust?

Marilyn French schreibt in ihrem Buch „Krieg gegen Frauen“, daß Sexismus, Gewalt und Nationalismus die selben Wurzeln haben.

Krieg als Instrument der Triebentsorgung?

In Jugoslawien scheint sich das so auszudrücken, daß alles erlaubt ist. Die Menschen kommen in Lager oder werden erschossen. Bei den Frauen ist es unterschiedlich. Es gibt auch sehr, sehr viele, die man zuerst vergewaltigt und danach sofort umbringt. Es ist auf eine unglaubliche Weise brutal. Hinzu kommt, daß man in Bosnien noch nicht einmal von militärischen Strukturen reden kann. Was da herumzieht, sind marodierende Söldnerhaufen, ein deklassierter Mob.

Glauben Sie denn, eine reguläre Armee wäre besser?

Das kommt auf die Armee an. Eine Armee, die außer Kontrolle gerät, ist noch zu ganz anderen Dingen fähig. Es gibt ein Wort, das man jetzt immer im Zusammenhang mit Bosnien benutzt: schlachten. Wenn 15 schwerbewaffnete Rowdys in ein Dorf einziehen, können sie das plattmachen und dann ziehen sie zum nächsten. Was da an Aggressionen hochkommt, ist unvorstellbar. Die sind nicht mehr aufzuhalten. Das ganze hat einen irrwitzigen Sog. Außerdem stehen die wohl weitgehend unter Drogen und Alkohol. Die Gewalt richtet sich ja auch nicht nur gegen Frauen, aber auch immer gegen sie und gegen Kinder.

Frauen zu erobern, sagen Feministinnen, sei wie ein fremdes Territorium zu erobern — und umgekehrt.

Dieser sexuelle Aspekt spielt eine ganz große Rolle. Aber ich glaube nicht, daß er im Bewußtsein getrennt wird von allen anderen Greueln. Es werden alle vertrieben oder geschlachtet oder kommen in Lager. Und die Frauen werden zusätzlich noch sexistisch ausgebeutet. Es gibt Gerüchte, daß Frauen in den Lagern geschwängert werden, um kleine Tschetniks zu gebären und keine Moslems mehr. Das klassische Bild von der Frau als Gefäß.

Aber sie fungiert auch als Beute, als Belohnung. Irgend etwas muß man jungen Männern doch versprechen, wenn sie von alten Männern in den Tod geschickt werden.

Ich denke, daß Kriege sowieso nur angezettelt werden können, wenn unglaublich viele Standards wegfallen. Der Umgang mit Frauen gehört dazu. So ein nationalistisch motivierter Krieg ist absolute Männersache. Frauen sind in Jugoslawien zwar auch nationalistisch. Aber, soweit ich recheriert habe, sehr viel weniger. Und sie waren vor allem bei der ideologischen Vorbereitung nicht dabei. Wer sich auf diese Ideologie einläßt, hört auf zu denken, und ist bereit, zugunsten von etwas angeblich Höherem alles zu rechtfertigen und seine menschliche Würde abzugeben. Warum das schneller bei Männern passiert, weiß ich nicht.

Sind dazu nicht militärische Strukturen da? Entindividualisierung mit dem Ziel, ein Kampfmaschinenteil herzustellen, eine „Megamännlichkeitsmaschine“, wie es die Friedensforscherin Albrecht-Heide nennt?

Ich halte es nicht für männlich, was da passiert. Ich habe so viele aufgehauene Köpfe auf Bildern gesehen und schrecklichste Verstümmelungen — es ist völlig wurscht, wer da verstümmelt ist. Es trifft alle. Da werden auch kleinen Jungen die Schwänze abgeschnitten. Es ist eine Brutalität, die keine Grenzen kennt und die sich dann noch einmal speziell gegen Frauen richtet. Aber von Männlichkeit würde ich nicht reden.

Ich meine Männlichkeitswahn, Machismo. Die Blut-und-Boden- Sprache des Krieges ist gleichzeitig voll von Bildern gewaltsamer Männlichkeit, männlicher Phantasien und Sexualität.

Richtig. Deshalb komme ich immer wieder auf die offizielle Politik zurück. Es ist jetzt an der Zeit, daß diese ganzen Außen- und Verteidigungsminister sich mit diesem Problem befassen und nicht mit dem Adriaeinsatz. Schon Ende der 70er Jahre wurde innerhalb der UNO ein Krisenstab zu Geschlechterrollen in Kriegszeiten gefordert. Was mich etwas sprachlos macht: Ich kann mir einfach nicht erklären, wieso es immer wieder gelingt, daß so viele Menschen mitmachen. Obwohl es natürlich auch Männer aller Ethnien gibt, die desertieren.

Wäre das eine Lösung?

Großartig wäre es, wenn sie alle desertieren würden, statt zu versuchen, ihr Dorf zu verteidigen. Vielleicht besteht dann eher die Chance, daß nicht alles zerstört wird. Und wenn sich dann Serben in diesen Dörfern ansiedeln, muß man versuchen, dieses Problem politisch zu lösen. Aber zuallererst muß dieses Gemetzel ein Ende haben. Das ist doch nicht wieder gutzumachen. Selbst wenn der Krieg zu Ende ist, ist ja nichts gelöst. Interview: Bascha Mika

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